lautstark. 01.12.2025

Wenn Sparpolitik Bildungschancen kostet

Kommentar zum NRW-Landeshaushalt für 2026

„Wir sparen nicht an Bildung“ – so die frohe Botschaft von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst zum Haushalt 2026. Schön wär’s. Tatsächlich gleicht der Bildungshaushalt einem Haus, bei dem die Wände frisch gestrichen sind, aber das Fundament bröckelt.

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  • Ausgabe: lautstark. 05/2025 | Inklusion im Bildungssystem — Zusammen leben. Zusammen lernen.
  • Autor*in: Ayla Çelik
  • Funktion: Vorsitzende der GEW NRW
Min.

Abwärtstrend mit System: Die Bildungsausgaben gehen anteilig zurück

Die Zahlen glänzen nur an der Oberfläche: Während der Gesamthaushalt um über 6 Prozent wächst, hinken die Bildungsressorts hinterher und verlieren weiter an Anteil. Das klingt weniger nach Zukunftskoalition als nach Zukunftskürzung. Der Entwurf für das Jahr 2026 weist ein Gesamtvolumen von rund 112,16 Milliarden Euro auf – ein Plus von über 6 Prozent im Vergleich zu 2025. Doch von den rund 6,7 Milliarden Euro Mehrausgaben fließen gerade einmal rund 1,68 Milliarden in die drei Einzelpläne für den Bildungsbereich. Insgesamt lägen Bildungsausgaben damit bei etwa 46,5 Milliarden Euro. Das erscheint auf den ersten Blick viel. Doch gemessen am Anteil des Gesamtetats sind sie rückläufig – von 59 Prozent (2018) auf nur noch  41,5 Prozent (2026). So sieht ein Abwärtstrend mit System aus. 

Von Kita bis Hochschule: Die Ursachen des Bildungsgefälles in NRW bleiben unangetastet

Hätte die Landesregierung ihr eigenes „Bildung hat Vorrang“-Versprechen ernst genommen, stünden dem Land heute rund 20 Milliarden Euro mehr für Bildung zur Verfügung. Stattdessen wird weiter an den Symptomen des Bildungsgefälles herumgedoktert, während seine Ursachen unangetastet bleiben. Lehrkräftemangel? Wird schöngerechnet. Statt neue Stellen zu schaffen, fließen die Mittel für unbesetzte Stellen zurück ins Finanzministerium. Schulen sollen das Mehr an Schüler*innen mit einem Weniger an Personal stemmen. Chancengleichheit zum Spartarif. Das funktioniert nicht einmal in der Theorie. Der Sozialindex – einst ein Instrument für mehr Gerechtigkeit – wird Stück für Stück ausgehöhlt. Schulen mit den größten Herausforderungen sollen künftig mit halben Zuschlägen auskommen. Wer wirklich will, dass Herkunft nicht über Bildungserfolg entscheidet, muss ungleiche Startbedingungen ausgleichen, nicht einebnen. Die GEW NRW fordert weiterhin: Ungleiches ungleich behandeln!

Auch in der Kita wird gerechnet, statt investiert. Der Haushalt für Kinder und Familien wächst um magere 1,8 Prozent – weit unterhalb der realen Kostensteigerungen. Das vielgelobte Kita-Helfer:innen-Programm wird sogar gekürzt. So bleibt frühkindliche Bildung ein Flickenteppich, abhängig von Trägern, Kommunen und dem Glück, auf der Sonnenseite des Lebens geboren zu sein. Dabei wissen alle: Wer hier spart, zahlt später doppelt – in schlechtere Bildungschancen, in Fachkräftemangel, in eine sozialer Schieflage. Diese Landesregierung hatte einige Stellschrauben, um Chancengleichheit zu fördern. Eine davon war und ist sicherlich die Ausgestaltung des Ganztags. 2026 tritt der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in Kraft – doch statt Qualität zu sichern, wird improvisiert. Mit weniger Geld sollen mehr Plätze geschaffen werden. Ohne landesweite Standards wird der Ganztag zum Glücksfall mit Postleitzahl. Wo das Land Verantwortung übernehmen müsste, zieht es sich zurück und überlässt den Kommunen den Spagat zwischen Rechtsanspruch und Realität. 

Gute Bildung darf aber keine Frage der Kassenlage sein. Auch die Hochschulen geraten unter die Sparräder. Minderausgaben in Millionenhöhe, eingefrorene Qualitätsmittel und die Stagnation bei der Weiterbildungspolitik zeigen: Wer vom „Wissenschaftsstandort NRW“ spricht, sollte nicht an der wissenschaftlichen Arbeit sparen. Prekäre Beschäftigung in der Wissenschaft ist kein Betriebsunfall, sondern Folge politischer Prioritäten. Wenn ausgerechnet in Zeiten sinkender Studierendenzahlen nicht in Qualität investiert wird, ist das kein Haushalt – das ist Kurzsichtigkeit mit Ansage.

Gesunde Demokratie, Teilhabe und sozialer Frieden brauchen gute Bildung

Die Landesregierung hat noch Zeit bis 2027, das Ruder herumzureißen. Dafür muss sie allerdings schon einen Sprint hinlegen. Wir brauchen nicht noch mehr „Weiter so“, sondern Mut zur Veränderung! Wenn die Landesregierung nicht endlich gegensteuert, wird die soziale Spaltung zunehmen. Eine wehrhafte, gesunde Demokratie lebt aber davon, dass Menschen sich gleichberechtigt beteiligen können. Aber das können sie nur, wenn sie sich als Teil der Gesellschaft erfahren, wenn sie Zugang zu Bildung, Kultur, guter Arbeit und fairer Bezahlung haben. Die dramatische Zunahme sozialer Unsicherheit – insgesamt in Deutschland und auch hier in NRW – bedroht den sozialen Frieden.

Immer öfter erleben wir in unseren Bildungseinrichtungen, dass Kinder ohne Pausenbrot in die Schule kommen. Fast jedes fünfte Kind lebt inzwischen in einer Familie, die auf Transferleistungen angewiesen ist. Und das sind nicht nur Menschen ohne Job. Das sind zunehmend arbeitende Eltern, die trotz Vollzeitjob ihre Miete nicht bezahlen können. In unserem Land bedeutet Armut auch Bildungsarmut. Kinder aus armen Familien stoßen schon bei der Suche nach einem Kitaplatz auf Barrieren, erleben später im Schulalltag Hürden. Ihre Chancen auf eine erfolgreiche Bildungsbiografie stehen schlechter und in der Konsequenz ist ihre Teilhabe eingeschränkt.

Fest steht auch: Bildung allein kann Armut nicht durchbrechen, solange die gesellschaftlichen Strukturen Armut aufrechterhalten, zum Beispiel über die ungleiche Verteilung von Gütern, die verstetigt bestimmten Gruppen zukommen, oder eine Steuerpolitik, die denen zugutekommt, die ohnehin schon viel besitzen. Die Landesregierung ist in der Verantwortung, diese Strukturen in allen Politikbereichen zu verändern – um Teilhabe zu sichern, Vielfalt zu stärken und Ausgrenzung zu verhindern. 

Wer Bildungsgerechtigkeit will, muss Bildung als Teil sozialer Infrastruktur begreifen

Für uns als GEW steht Bildung im Mittelpunkt – aber nicht Bildung im neoliberalen Sinne von Humankapital, sondern Bildung als Befreiung, als Emanzipation, als Teilhabe. Unsere Mitglieder sehen tagtäglich: Kinder starten in dieses Bildungssystem mit völlig unterschiedlichen Voraussetzungen – und diese Unterschiede werden im Laufe der Schulzeit oft größer statt kleiner.

Noch immer entscheidet in Deutschland die Herkunft über die Zukunft. Noch immer machen Kinder aus Akademiker*innenfamilien fünfmal häufiger Abitur als Kinder aus Arbeiter*innenfamilien. Das hat nichts mit ihren tatsächlichen Fähigkeiten zu tun, sondern mit strukturellen Ungerechtigkeiten: mit fehlender frühkindlicher Förderung, mit Personalmangel in Kitas, mit überfüllten Klassen, mit Lehrkräftemangel, mit fehlender Schulsozialarbeit und einer unzureichenden Finanzierung der Schulen in benachteiligten Stadtteilen. 

Und mit dem fehlenden politischen Willen, Armut zu bekämpfen. Wenn wir also von Bildungsgerechtigkeit sprechen, dann heißt das: Wir müssen dort mehr investieren, wo die Herausforderungen am größten sind. Wir müssen mit gesteuerter Ressourcenzuteilung endlich Ungleiches ungleich behandeln. Und wir müssen Bildung als einen Teil sozialer Infrastruktur begreifen – so selbstverständlich wie Wasser, Strom oder der öffentliche Nahverkehr.