

Gewalt gegen Beschäftigte im Schuldienst ist vielfältig. Die insbesondere von Innenminister Herbert Reul skandalisierten Messerangriffe stellen nur die Spitze dar. Es gibt
- körperliche Gewalt wie Schläge, Tritte, Angriffe mit Stühlen,
- psychische Gewalt, zu der Mobbing, Cybermobbing und Stalking zählen,
- Androhung von Gewalt,
- verbale Gewalt, die von Beschimpfung über Bedrohung hin zu Verleumdung und übler Nachrede reicht,
- Nötigung und sexuelle Gewalt,
- sächliche Gewalt wie Diebstahl und Vandalismus.
Schauen wir auf Zahlen, dann zeigt eine jüngere Erhebung aus dem Frühsommer 2023 des Bezirkspersonalrats Gesamt-, Gemeinschafts-, Sekundar- und PRIMUS-Schulen Münster anhand einer Onlinebefragung folgendes Bild: 36 Prozent der Beschäftigten beteiligten sich. Davon gaben 86 Prozent an, im Dienstalltag selbst schon mehrmals Opfer von verbaler oder physischer Gewalt geworden zu sein.
Etwa 65 Prozent der Befragten ist die Handreichung Gewalt gegen Lehrkräfte der Bezirksregierung Münster oder der Notfallordner – Hinsehen und Handeln des NRW-Ministeriums für Schule und Bildung nicht bekannt. Über 70 Prozent der Befragten gaben an, dass das Vorgehen bei Gewalt gegenüber Lehrkräften an ihren Schulen nicht transparent beziehungsweise uneinheitlich geregelt sei.
Während sich die Schulaufsicht – aus Sicht der GEW NRW aufgrund zu vieler struktureller und institutioneller Barrieren – schwertut, Zahlen zu erheben, gibt es – wie das Beispiel aus Münster zeigt – Befragungen und Untersuchungen von Personalräten, Gewerkschaften und Instituten, die Erhebung zur psychosozialen Belastung von Lehrkräften und anderen pädagogischen Beschäftigten im Landesdienst (COPSOQ) sowie die Kriminalstatistik.
Und dennoch kam die Hochschule für öffentliche Verwaltung Speyer in einer groß angelegten Untersuchung zum Thema Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst 2022 zu der Aussage, bei Lehrkräften gebe es ein Dunkelfeld von 72 Prozent. Viele alltägliche Übergriffe fänden nicht den Weg in die Schulministerien und in die Statistiken. Die Frage danach, warum das so ist, lässt sich wie erwähnt strukturell und institutionell beantworten, aber auch politisch.
Nach Meinung des Konfliktforschers Andreas Zick sei es politisch erwünscht, keine Daten zu erheben. „Das Thema wird öffentlich diskutiert, berührt den Alltag an Schulen und doch fehlt es am Willen, Fakten zu erzeugen und das Thema umfangreich zu untersuchen“, wird der Wissenschaftler in einem Bericht von ZDFheute zitiert.
Gewalt als Tabuthema und unterschiedliche Definitionen machen eine Erhebung schwierig
Zudem wird vielfach in den Untersuchungen zu Gewalt an Schulen von unterschiedlichen Definitionen von Gewalt ausgegangen, ohne dies immer kenntlich zu machen. Für die GEW NRW ist Gewalt gemäß der Definition der International Labour Organization (ILO) jede Handlung, jeder Vorfall oder jedes Verhalten, das von einem angemessenen Verhalten abweicht und bei dem eine Person während oder als direkte Folge ihrer Arbeit angegriffen, bedroht, geschädigt oder verletzt wird.
Wenn in Untersuchungen zu Gewalt nicht klar definiert ist, was sie erheben wollen, also was unter Gewalt verstanden wird, können die Befragten ganz Unterschiedliches darunter verstehen. So wird zum Beispiel psychische Gewalt von den Betroffenen häufig heruntergespielt und in Befragungen nicht angegeben.
Eine weitere Schwierigkeit, Zahlen zu erheben, liegt daran, dass Gewalt gegen Lehrkräfte und andere pädagogische Beschäftigte an Schulen nach wie vor viel zu häufig ein Tabu ist – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Manche Betroffene wollen nicht als schwach gelten, andere unterschätzen Situationen und meinen: „Bei mir macht er oder sie das nicht.“
Des Weiteren ist auch der Konkurrenzdruck nicht zu unterschätzen, unter dem viele weiterführende Schulen stehen. Gewalttaten werden lieber unter dem Deckel gehalten und verharmlost, um dem Ruf der Schule nicht zu schaden und Schüler*innen nicht an die benachbarte Konkurrenzschule zu verlieren. Es wird eine Kultur des Schweigens, der Zensur und der Selbstzensur etabliert.
Erfreulicherweise ist ein Wandel bemerkbar: Gewalt wird an immer mehr Schulen schulöffentlich thematisiert und bearbeitet, und zwar sowohl präventiv als auch intervenierend. Dabei zeigt die Schulpraxis, dass Schulen mit einer Gewaltproblematik deutliche Erfolge erzielen, wenn ein Kollegium gemeinsam ein präventives Konzept entwickelt und in pädagogischer Geschlossenheit anwendet. Das bedeutet, es werden gemeinsame Verabredungen getroffen und alle Mitglieder der Schulgemeinschaft wissen transparent und verlässlich, welche Folgen eine unerwünschte Handlung wie ein Gewaltakt gegen Kolleg*innen haben wird.
Notfallordner und Handreichungen bieten Schulen Unterstützung
Unterstützung erhalten Schulen beispielsweise über den Notfallordner – Hinsehen und Handeln, den das Schulministerium in NRW nach der Amoktat von Erfurt 2002 entwickelte und der zuletzt Mitte 2023 neu aufgelegt wurde. Darin enthalten sind ein Präventionsteil und ein Kriseninterventionsteil. Mit Hilfe dieses Ordners können und sollen Schulen ein eigenes Schutzkonzept entwickeln.
Der Ordner räumt auch mit der Unsicherheit vieler Schulleitungen über ihre Rolle nach Gewalttaten gegen Lehrkräfte auf. Es wird Schulleitungen empfohlen, selbst und in Absprache mit der betroffenen Lehrkraft eine Strafanzeige zu stellen.
Zum Thema Strafanzeige unterstützt auch die im März 2025 veröffentlichte Handreichung Gewalt gegen Landesbeschäftigte an Schulen der Bezirksregierung Düsseldorf Betroffene. Sie hebt hervor, dass auch die Bezirksregierung in Absprache mit Betroffenen Strafanzeige oder Strafantrag stellen kann.
Neu ist auch die Zusammenfassung aller Hinweise und Maßnahmen zum Thema auf der Website und die Einrichtung einer Gruppe mit Lotsenfunktion, um betroffenen Lehrkräften besser helfen zu können. Lange Zeit hilfreich war auch die überarbeitete Broschüre Gewalt gegen Lehrkräfte der Bezirksregierung Münster aus dem Jahr 2017, die überarbeitet werden sollte. Etwas rückschrittig scheint dagegen der Leitfaden Sicher handeln bei Gewalterfahrungen von Beschäftigten an Schulen des Ministeriums für Schule und Bildung (MSB) zu sein.
Als Reaktion auf die jüngste Messerattacke auf eine Kollegin eines Essener Berufskollegs haben MSB und das NRW-Innenministerium im September 2025 das Projekt miteinander.stark.sicher – Gemeinsam für eine gewaltfreie Schule vorgestellt, an dem sich 20 Schulen beteiligen.
Erklärtes Ziel des Projekts ist es, die Zusammenarbeit von Schule und Kriminalpolizei zum Thema Gewaltprävention zu vertiefen. Interessanterweise ist unter den teilnehmenden Schulen keine einzige Förderschule, obwohl es die Schulform mit der größten Gewaltproblematik ist. Hier fordert die GEW NRW ganz klar, dass es ein solches Projekt auch für Förderschulen geben sollte.
GEW NRW fordert mehr Unterstützung für die Opfer von Gewalt
Was trotz all der Hilfestellungen fehlt, sind aus Sicht der GEW NRW folgende Maßnahmen:
- Es muss einen ehrlichen Umgang beim Thema Gewalt gegen Lehrkräfte und andere pädagogisch Beschäftigte geben. Dazu zählt dringend die Erhebung von realistischen Zahlen, die nicht auf dem Weg nach oben gefiltert werden. Viel zu viele Gewalttaten werden trotz entsprechender Appelle nicht angezeigt oder weiter gemeldet. Dies muss sich ändern! Die GEW NRW fordert ein vereinfachtes Meldesystem, das bereits im MSB als Initiativantrag vorliegt. Das Meldeverfahren bei Gewalt gegenüber Beschäftigten muss leicht handhabbar, digital und rechtssicher sein. Gemeldete Gewaltvorfälle, auch solche, die dem sogenannten Bagatellbereich zuzuordnen und nicht als Dienstunfall beziehungsweise Arbeitsunfall geltend gemacht worden sind, müssen vom Dienstherrn ernst genommen werden und entsprechende Schutzmaßnahmen auslösen.
- Angesichts der überbordenden Arbeitsbelastung von an Schulen Beschäftigten müssen weitere Maßnahmen zur Entlastung ergriffen werden, wie kleinere Klassen, mehr Schulsozialarbeit und mehr Zeit für präventive Arbeit mit den Schüler*innen.
- Im Sinne der Betroffenen fordern wir eine Opferorientierung: Die Betroffenen, häufig sowieso in einer emotionalen Ausnahmesituation, sollten nie alleingelassen werden. Ihnen muss angemessene Hilfe angeboten werden. Schule oder Betroffene sollten Strafanzeige oder einen Strafantrag stellen. Die Gewalt-tat muss dokumentiert und als Arbeits- oder Dienstunfall gemeldet werden.







