Vom Fitnesstraining bis zum Landschaftsvideo: Viele rechtsextreme Inhalte auf Social Media kommen erstmal alltäglich daher. „Die Bandbreite, mit der sich Rechtsextreme präsentieren, ist riesig“, sagt Lara Franke. Die Medienpädagogin informiert in Workshops seit Jahren über rechtsextreme Strategien auf TikTok. Ein Trend: Medienaffine Influencer*innen kreieren über Kleidung und Musik einen „rechtsextremen Lifestyle“. „Sie haben eine hohe Authentizität und wissen genau, wie sie Jugendliche am besten erreichen“, erzählt Lara Franke. Andere Accounts bedienten über naturnahe Bilder von Wäldern und Schlössern das Narrativ der „guten alten Zeit“. Und nicht zuletzt gebe es Inhalte mit vermeintlich journalistischem Anspruch, die Fakten umdeuteten und mit rechtsextremen Kampfbegriffen verknüpften.
„Rechtsextreme passen sich der Entwicklung der Zeit an: Früher waren sie in Foren und Blogs aktiv, heute nutzen sie eben Social-Media-Plattformen, Messenger und digitale Spiele“, sagt Pamela Heer, Referentin für Medienkompetenz bei der EU-Initiative klicksafe. Dabei seien vor allem audiovisuelle Inhalte wirksam, um Jugendliche anzusprechen – und sie an die Umdeutung von Begriffen heranzuführen.
„Desinformation ist ein rechtsextremes Kerngeschäft”
„Desinformation ist ein rechtsextremes Kerngeschäft, und es ist für Jugendliche schwer zu erkennen, wo Inhalte manipuliert wurden“, betont Pamela Heer. Rechtsextreme versuchten bewusst, „ganz normal“ zu erscheinen und darüber mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen – meist zu Themen, die junge Menschen berührten, etwa den Klimawandel. „Danach implementieren sie Begriffe wie ‚Volksverräter‘ oder ‚Lügenpresse‘, sodass diese immer mehr in die Mitte rücken.“
Erstkontakt über TikTok und Co. – dann folgt Einladung in geschlossene Chatgruppe
Extrem rechte Influencer*innen tasteten in der Regel zunächst ab, wie Jugendliche auf bestimmte Themen reagierten. „Dann folgt eine Einladung in eine geschlossene Gruppe, etwa bei Discord oder Telegram. Dort kann offener kommuniziert werden – ideale Voraussetzungen für Indoktrination und Radikalisierung.“
„Wut, Angst, Gefühle von Stolz. Das ist Futter für den Algorithmus.“
Dabei werden ganz unterschiedliche Narrative erzeugt. „Sehr häufig ist das Untergangsszenario: Die Welt steht vor dem Abgrund, und die Rechtsextremen erscheinen als Retter, die Deutschland vor dem Untergang bewahren“, sagt Lara Franke. Ebenso gängig sei es, ganze Menschengruppen oder Institutionen als Feindbilder zu inszenieren – also Medien, Migrant*innen oder die queere Community. Und auch der Anspruch, die „Wahrheit“ ans Licht zu bringen, sei ein gängiges Narrativ – ebenso wie antifeministische Strömungen. „Allen Narrativen gemein ist, dass sie Reaktionen erzeugen: Wut, Angst, Gefühle von Stolz und Überlegenheit. Das ist Futter für den Algorithmus“, erklärt Lara Franke. Nutzer*innen würden dann immer mehr rechtsextreme Inhalte angezeigt, „und sie laufen Gefahr, sich an diese Sprache zu gewöhnen“.
Junge Menschen in Medienkompetenz fördern
Damit solche Mechanismen ins Leere laufen, sollten unter anderem Lehrkräfte die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen fördern. Denn soziale Medien seien natürlich auch im schulischen Umfeld präsent, weiß Lara Franke. „Sie machen einen großen Teil der kindlichen Lebensrealität aus“, sagt die Journalistin. „Daher wird ein Smartphone-Verbot an Schulen das Problem nicht lösen.“ Stattdessen sollten Kinder und Jugendliche in der Schule einen möglichst aktiven und kritischen Umgang mit Medien erlernen – und auch rechtsextreme Narrative kennenlernen. „Früher oder später werden allen Kindern und Jugendlichen solche Inhalte angezeigt. Deshalb ist es wichtig, sie darauf vorzubereiten – und ihnen zu zeigen, wie Rechtsextreme bestimmte Sachverhalte umdeuten.“ Lehrkräfte, so ihr Rat, sollten sich über Social-Media-Trends auf dem Laufenden halten und Offenheit signalisieren.
Dafür plädiert auch Pamela Heer. Sie empfiehlt, klare Verhaltensweisen mit Schüler*innen zu erarbeiten – gerade auch, um rechtsextreme Äußerungen im Klassenchat zu vermeiden. Dazu gehöre etwa, dass Verstöße gegen die gemeinsam erarbeiteten Regeln sofort von anderen angesprochen werden müssten.
Bestehe der Verdacht, dass einzelne Schüler*innen rechtsextreme Inhalte verbreiteten, sollten Lehrkräfte genau hinschauen, empfiehlt die Expertin: „Die Pubertät ist eine Phase, in der sich Jugendliche ausprobieren und provozieren wollen. Daher muss geschaut werden: Ist das nur ein Ausdruck von Protest, oder werden tatsächlich rechtsextreme Ansichten relativiert?“ Gespräche, auch mit den Eltern, könnten im Einzelfall unterstützend wirken.
Unterrichtsmaterial zu Rechtsextremismus soll Lehrkräfte unterstützen
„Grundsätzlich sollte man mit allen Schüler*innen proaktiv über Desinformation und Fake News im Unterricht sprechen.“ Schüler*innen könnten dann Beispiele mitbringen, die ihnen in den sozialen Medien begegnet sind. Unterstützung dabei liefert eine neue Unterrichtsreihe, die klicksafe Anfang des Jahres herausgebracht hat. Rechts. Extrem. Online. – Wie man Jugendliche gegen rechtsextreme Einflüsse im Internet stark macht umfasst insgesamt sechs Unterrichtseinheiten. „Der zentrale Gedanke ist, Schüler*innen Wissen über demokratiefeindliche Inhalte und Online-Strategien zu vermitteln. Mit diesem können sie Fake-Profile, typische Narrative und rechtsextreme Codes erkennen“, sagt Pamela Heer.
Demokratiebildung ist weiterer Schlüsselaspekte
Neben der Medienkompetenz sollten Schüler*innen in der Schule aber auch ein umfassendes Demokratieverständnis erlangen. Denn das mache sie stark gegen rechtsextreme Hetze, wie auch Lara Franke betont. „Damit Jugendliche den Wert von Meinungsfreiheit erfassen, sollte man sie ernst nehmen und demokratisch teilhaben lassen“, sagt die Medienpädagogin. Viele junge Menschen fühlten sich von der Politik nicht mehr ernstgenommen – und seien dadurch anfällig für rechtsextreme Ideologien.