Schule 18.12.2025

Wie lässt sich Gewalt an Schulen wirksam verhindern?

  • Autor*in: Anne Petersohn
  • Funktion: freie Journalistin

GEW und GdP zum neuen Gewaltpräventionskonzept des Landes NRW

Mit einem gemeinsamen Präventionsprojekt wollen das Innen- und das Schulministerium in NRW der Gewalt an Schulen begegnen. Expert*innen der GEW NRW und der Gewerkschaft der Polizei (GdP) NRW sehen in dem Konzept gute Ansätze – und fordern weitere Schritte, um die Situation langfristig zu verbessern.

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Im September haben Vertreter*innen beider Ministerien die Initiative vorgestellt. Sie trägt den Titel miteinander.stark.sicher – gemeinsam für eine gewaltfreie Schule und startet in diesen Tagen an 20 Schulen in NRW. In einer zwölfmonatigen Pilotphase werden sie testen, ob die angedachten Ansätze Wirkung zeigen. 

Das Konzept beinhaltet drei Säulen. Die erste betrifft die Lehrkräfte der ausgewählten Schulen: Sie nehmen an Fortbildungen mit Polizeibeamt*innen teil, um Konfliktsituationen auch unter Stress möglichst souverän meistern zu können. Parallel dazu lernen Siebtklässler*innen im Unterricht die Grundlagen eines respektvollen Miteinanders kennen. Ein besonderes Ziel ist dabei, Messergewalt frühzeitig vorzubeugen. Und schließlich sind Polizeibeamt*innen in den Pausen auf Schulhöfen präsent, um mit Schüler*innen ins Gespräch zu kommen und das Vertrauen junger Menschen in die Polizei zu fördern. 

Vorsitzende der GEW NRW Ayla Çelik

Wichtigster Schritt ist die Stärkung der sozialen Infrastruktur

„Ich finde das Konzept grundsätzlich gut, weil es das bestehende Problem auf ein neues Niveau bringt und einen Rahmen für Handlungen bietet“, sagt die Vorsitzende der GEW NRW, Ayla Çelik. Auch die enge Zusammenarbeit zwischen Schulen und Polizeibehörden sei vielversprechend. Um nachhaltig erfolgreich zu sein, müsse das Projekt allerdings auch den Bereich der Schulsozialarbeit adressieren. „Der wichtigste Schritt im Kampf gegen Gewalt ist die Stärkung der sozialen Infrastruktur in den Schulen. Ein Wachschutz am Tor ist kein Ersatz für ein funktionierendes Netzwerk im Schulsozialgefüge“, betont Ayla Çelik. So müssten alle Mitglieder der multiprofessionellen Teams – also auch Schulpsycholog*innen und Sonderpädagog*innen – in die Maßnahmen einbezogen werden. 

Schlechten Rahmenbedingungen verschärfen die Situation

Über alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens hinweg hätten gewaltsame Vorfälle an Bedeutung gewonnen, betont Ayla Çelik. „Weil Schulen Spiegel unserer Gesellschaft sind, haben Respektlosigkeit, Gewaltandrohungen und körperliche Übergriffe logischerweise auch dort zugenommen.“ Allerdings führten die schlechten Rahmenbedingungen in Bildungseinrichtungen zu einer Zuspitzung der aktuellen Entwicklung: „Lernen braucht gute Beziehungen – doch die können vielerorts gar nicht erst entstehen. Jugendliche leiden zunehmend unter psychischen Problemen, und auch Lehrkräfte fühlen sich ausgelaugt und im Stich gelassen. Hier fehlen Zeit, Personal und Räume, um der Situation angemessen zu begegnen.“

Maßnahmen gegen Gewalt sollten deutlich stärker als bisher auf Prävention ausgerichtet werden, betont die GEW NRW-Vorsitzende. „Gewalt entsteht nicht ausschließlich im schulischen Kontext, sondern wird häufig aus belasteten Lebenslagen in die Schule hineingetragen. Leider wachsen nicht alle Schüler*innen in einem sicheren, gewaltfreien Umfeld auf. Umso wichtiger ist es, dass Schule ein Ort ist, an dem soziales Lernen, Respekt und Konfliktfähigkeit systematisch vermittelt werden.“

Prävention wirkt nur dann nachhaltig, wenn sie früh beginnt.

Die nun vorgesehenen Unterrichtseinheiten zum respektvollen Miteinander seien daher ein Schritt in die richtige Richtung. „Allerdings greifen sie zu kurz, wenn sie erst im schulischen Bereich ansetzen. Meiner Ansicht nach müssen entsprechende Inhalte verbindlich bereits in der frühkindlichen Bildung verankert werden. Prävention wirkt nur dann nachhaltig, wenn sie früh beginnt.“

Ebenso zentral sei die flächendeckende und zeitnahe Qualifizierung von Lehrkräften im Bereich Deeskalation, Konfliktprävention und Beziehungsarbeit, betont die Expertin. „Trotz der vielerorts angespannten Personalsituation darf dies kein Aufschubgrund sein. Schulen müssen handlungsfähig werden und bleiben – gerade im Umgang mit Konflikten und herausfordernden Situationen. Ein deeskalierendes, wertschätzendes Miteinander muss im schulischen Alltag eingeübt und professionell begleitet werden.“

Vorsitzende der GdP NRW Patrick Schlüter

Zusammenarbeit zwischen Schulen und Polizei könnte positive Effekte haben

Auch der NRW-Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Patrick Schlüter, befürwortet die neue Initiative gegen Gewalt grundsätzlich. „Es ist gut, dass man anfängt und schaut, ob die vorgesehenen Ansätze Auswirkungen haben“, betont er. Dabei könne gerade die intensivierte Zusammenarbeit zwischen Schulen und Polizei positive Effekte haben. „Das Konzept bringt sicher nicht die Lösung aller Probleme. Doch wenn man auf Prävention setzt und Schüler*innen mit kommunikativen Mitteln erreichen kann, wäre das ein Erfolg.“ In den geplanten Unterrichtseinheiten würden Kinder und Jugendliche sehr eindringlich mit den Folgen von Gewalt konfrontiert, etwa durch Bilder. Andere Maßnahmen – beispielsweise höhere Strafen – hätten nachweislich keine abschreckende Wirkung. „Leider kommt Gewalt heute schnell ins Spiel, und auch die Hemmschwelle für Taten sinkt. Da tritt man noch auf einen Menschen ein, wenn er schon am Boden liegt. Insofern müssen wir dringend handeln.“

Rollen müssen deutlich definiert sein

Für eine gute Umsetzung des Konzepts sei es wichtig, Zuständigkeiten und Kompetenzen der beteiligten Institutionen zu benennen und klar voneinander abzugrenzen. „Als Polizei können wir kriminalpräventive Inhalte bereitstellen. Damit sie bestmöglich vermittelt werden, brauchen wir aber die didaktische Kompetenz der pädagogischen Fachkräfte. Diese Rollen müssen deutlich definiert sein.“ 

Die Kommunikation in schwierigen Situationen nehme bereits in der Ausbildung von Polizist*innen viel Raum ein. Kolleg*innen in den Präventionskommissariaten würden zusätzlich geschult und hätten daher umfangreiches Hintergrundwissen für Fortbildungsangebote. „Mit Blick auf die personelle Ausstattung der Polizei sind der Umsetzung solcher Maßnahmen jedoch Grenzen gesetzt. Die personelle Ressource ist hier der größte Hemmschuh.“ 

Das gelte insbesondere die für den zeitintensiven Präsenzdienst auf den Schulhöfen. Zwar sei es unbedingt wünschenswert, dass Polizist*innen durch ihre Anwesenheit zu einem guten Schulklima beitragen. Doch die Zahl der Bezirksbeamt*innen sei begrenzt. „Wir haben jeweils eine*n Kolleg*in pro 10.000 Einwohner. Wenn diese Person auf einem Schulhof im Einsatz ist, dann können andere Aufgaben nicht erledigt werden. Das ist am Ende eine Prioritätenentscheidung.“

Es braucht mehr personelle und zeitliche Ressourcen

Damit Gewalt langfristig aus dem schulischen Alltag zurückgedrängt werden kann, fordert Ayla Çelik eine deutliche Aufstockung der personellen und zeitlichen Ressourcen. „Notwendig sind kleinere Lerngruppen, mehr pädagogische Zeit und spürbare Entlastung für Lehrkräfte“, betont die GEW NRW-Vorsitzende. „Das Land Nordrhein-Westfalen steht hier in der Verantwortung, zusätzliche finanzielle Mittel bereitzustellen und zugleich die Lehrpläne zu entschlacken.“

Nur so könne am Ende mehr Raum für das Miteinander entstehen. „Nur wenn Lehrkräfte wieder über ausreichend Zeit als pädagogische Ressource verfügen, können sie ihrer Rolle gerecht werden und Beziehungen aufbauen, Konflikte bearbeiten, zuhören sowie wirksam begleiten. Erst so entsteht der nötige Raum für ein tragfähiges soziales Miteinander in der Schule.“

Patrick Schlüter plädiert zudem für eine umfassende Aufklärungsarbeit. „Aus meiner Sicht ist es besser, in Prävention und die personelle Ausstattung der Polizei zu investieren, als später mit den kostenintensiven Folgen von Gewalttaten konfrontiert zu sein.“ Schulteams für Krisenintervention und Gewaltschutzbeauftragte sollten an jeder Schule einen festen Platz haben, meint der GdP NRW-Vorsitzende. Und nicht zuletzt müsse ein Verbot von Waffen an Schulen durchgesetzt werden – notfalls auch per Sicherheitsdienst vor dem Schultor.