Gesellschaft 21.02.2020

Schulleitung und die Genderfrage: Wer kriegt den Job?

AntidiskriminierungFrauen

Forscherin Katja Kansteiner zu Gast bei der Landesfrauenkonferenz der GEW NRW

Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsvorgaben sind längst in Schule angekommen. Welche Rolle spielt das Geschlecht dennoch bei der Besetzung von Schulleitungsstellen? Das erforscht Prof. Dr. Katja Kansteiner von der Pädagogischen Hochschule (PH) Weingarten. Bei der Landesfrauenkonferenz der GEW NRW in Bochum hätte sie am 19. März 2020 ihre Studie vorgestellt. Diese fällt leider aufgrund der akuten Situation im Zusammenhang mit dem Coronavirus aus.

  • Interview: Anja Heifel-Rohden
  • Funktion: Redakteurin im NDS Verlag
Min.

Bei der Landesfrauenkonferenz der GEW NRW stellen Sie Ihre Studie zur Besetzung von Schulleitungsstellen vor. Was untersucht sie genau?

Katja Kansteiner: Seit vielen Jahren beschäftige ich mich dem Thema Schulleitung. Dabei begleitete mich schon immer die Perspektive auf Männer und Frauen, in den letzten Jahren verbunden mit der Diversitätsperspektive. Wenn man zur Schulleitung arbeitet, bekommt man viele Geschichten erzählt. Mir fiel auf: Wenn es um Benachteiligung ging, wurden stets irgendwelche Begebenheiten aus dem Besetzungszusammenhang berichtet. Als Wissenschaftlerin wollte ich empirisch und damit systematisch klären, was es mit diesen Erlebnissen auf sich hat, wenn doch eigentlich Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsvorgaben greifen müssten.

Bis dahin war der Aufstieg in die Schulleitung ein kaum beforschtes Feld. Es gab lediglich erste Befunde dazu, warum Lehrkräfte kein Interesse haben, Schulleiter*in zu werden. Die mich leitende Frage war, inwiefern derzeitige Schulleitungsbesetzungsverfahren in Deutschland die Anforderungen an Gleichstellung erfüllen – im Sinne von Nichtdiskriminierung. Oder anders formuliert: Ich wollte wissen, welche Differenzmerkmale von der Stellenausschreibung bis zu Einstellung Beachtung finden und wie sie genutzt werden.

Wieso war es aus Ihrer Sicht nötig, den Genderaspekt bei der Besetzung von Schulleitungsstellen genau unter die Lupe zu nehmen?

Katja Kansteiner: Nachdem Ende 1990/Anfang 2000 mit der Idee der Gleichstellung von Männern und Frauen in der Schulführung relativ konsequent verfahren wurde, der Antidiskriminierungsdiskurs seit Mitte 2000 dann viel stärker über das Diversity Management geführt wird, lag nahe, nicht mehr gezielt auf die Geschlechterfrage zu achten, sondern sie als im Diversity Management mitgeführt zu sehen. Es schien, als müsse man im Schulbereich über Männer und Frauen eigentlich nicht mehr sprechen. Deutlich mehr Frauen steigen auf und alle arbeiten völlig selbstverständlich mit Frauen und Männern in der Schulleitung.

Zwei Gründe jedoch haben mich anders entscheiden lassen: Zum einen erschien es mir vor dem Hintergrund der Fachdebatte notwendig, beide Strategien als Denkraum zu nutzen, da im Fachdiskurs debattiert wird, dass die Kategorie Geschlecht unter dem Schirm von Diversität marginalisiert zu werden droht. Außerdem bezogen sich einige der Praxisgeschichten doch noch auf die Kategorie Geschlecht und es klang immer mal wieder der Vorwurf der Bevorzugung von Männern an. Was also gar nicht mein ursprünglicher Fokus war – Frauen und Männer in der Führung – sondern eine von mehreren Perspektiven, wurde später gebraucht. Es zeigt sich nämlich, das darf ich vorwegnehmen, dass die Kategorie Geschlecht sehr wohl noch eine Rolle spielt, allerdings vielschichtiger als in der Plattitüde „Männer führen besser als Frauen“.

Die Teilnehmer*innen der Konferenz können auch an Ihrem Workshop „‚Formal passt sie ja schon – aus dem Bauch raus, nein.‘ Wie reflektieren wir Vielfalt?“ teilnehmen. Was sollen sie mitnehmen?

Katja Kansteiner: Der Workshop schließt an Erkenntnisse der Studie einer meiner Doktorand*innen an, in der sie untersucht, wie Besetzungskommissionen Vielfalt reflektieren – oder auch nicht. Ihre Arbeit verweist darauf, dass die handelnden Personen unterschiedliche Strategien anwenden, um Heterogenität und Differenz in Entscheidungssituationen zu bearbeiten, sie zum Beispiel „wegbügeln“ oder über private Erfahrungen kompensieren. Die Studie bilanziert, dass es kein kundiges Sprechen über Diversität gibt, es aber nötig wäre, die wahrgenommenen Differenzmomente und ihre Bewertung, nämlich das Bauchgefühl, in den Blick zu nehmen. 

Ich stelle im Workshop unter anderem die Typologie vor, weil das die Chance mit sich bringt, dass die Teilnehmer*innen ein Orientierungssystem für die Selbstreflexion oder Fremdbeobachtung erhalten. Ich lade außerdem dazu ein, dieses Sprechen über Vielfalt miteinander zu entwickeln, indem entlang meiner Beispiele oder jene der Teilnehmer*innen das konkrete Äußern sowie die Reflexion dazu geübt werden. Der Workshop soll sowohl professionelle Kenntnisse erweitern als auch Handlungsmöglichkeiten eröffnen.