



Sie sind Fortbildnerin für Lehrkräfte im Bereich der Digitalisierung. Wie erleben sie ältere Kolleg*innen in ihren Veranstaltungen? Begegnen Sie dem Thema Digitalisierung mit größerer Skepsis als junge Lehrkräfte?
Martina Braasch: In meinen Fortbildungen erlebe ich ältere Kolleg*innen häufig als sehr verantwortungsbewusst und reflektiert im Umgang mit dem Thema Digitalisierung. Besonders deutlich wird das in meinem Onlinekurs Digital ohne Qual, der einen geschützten Raum bietet, um ohne Zeitdruck digitale Möglichkeiten kennenzulernen. Viele ältere Teilnehmende sagen offen: „Ich will nicht den Anschluss verlieren, hier fühle ich mich sicher und kann einfach mal ausprobieren.“ Sie sind oft stolz darauf, sich auch im höheren Alter auf neue – und in ihren Augen coole – Themen einzulassen.
Das positive Feedback ihrer Schüler*innen gibt ihnen zusätzlich Rückenwind. Anders erlebe ich es manchmal in schulischen Präsenzfortbildungen, bei denen ich als externe Person eingeladen werde und das Kollegium mich nicht kennt. Die Teilnahme ist dort meist verpflichtend – und gerade ältere Lehrkräfte begegnen mir dann häufiger skeptisch. Diese Haltung ist verständlich: Viele sorgen sich, ihre bewährte Unterrichtspraxis aufgeben zu müssen oder mit Technik allein gelassen zu werden.
Und welches digitale Vorwissen bringen ältere Teilnehmende in der Regel mit?
Martina Braasch: Das digitale Vorwissen variiert stark – allerdings unabhängig vom Alter. Entscheidend ist vielmehr die bisherige berufliche Umgebung und ob es im Kollegium eine Kultur des Teilens gibt. Was immer wieder Vertrauen schafft: die Erkenntnis, dass digitale Medien nicht statt, sondern unterstützend zur eigenen Unterrichtspraxis zum Einsatz kommen können – besonders dann, wenn sie konkrete Entlastung oder neue Möglichkeiten für den eigenen Unterricht bieten.
Wie begegnen Sie Skepsis und Verunsicherung in Ihren Fortbildungen?
Martina Braasch: Skepsis und Verunsicherung begegne ich in meinen Fortbildungen immer zuerst mit Verständnis. Denn oft stehen hinter scheinbar ablehnenden Haltungen ganz andere Gefühle: Überforderung, Angst vor Gesichtsverlust, das Gefühl, abgehängt zu sein – oder auch einfach schlechte Erfahrungen mit Technik. Wichtig ist für mich deshalb, eine Atmosphäre zu schaffen, in der niemand sich bloßgestellt oder unter Druck gesetzt fühlt.
Ein zentrales Prinzip meiner Arbeit ist: erst Haltung, dann Handlung, dann Tool. Ich fange nicht mit Technik an, sondern mit Fragen wie: Welche Haltung als Lehrkraft steckt hinter der neuen Lernkultur mit digitalen Medien? Welche Probleme möchtest du lösen? Welche Lernprozesse möchtest du besser begleiten? Erst wenn der Mehrwert klar ist, schauen wir uns konkrete Tools an – Schritt für Schritt, mit klaren Beispielen und viel Raum zum Ausprobieren.
Wie gelingt es Ihnen, insbesondere ältere Kolleg*innen mitzunehmen?
Martina Braasch: Das Mitnehmen älterer Kolleg*innen gelingt mir am besten in meinen zeitlich flexiblen Onlinekursformaten. Da zeigen mir die Rückmeldungen ganz klar, wie wichtig dieser geschützte Rahmen ist. Ältere Kolleg*innen schätzen es sehr, dass sie das Tempo selbst bestimmen und auch vermeintlich einfache Fragen stellen können – ohne Bewertung, aber mit professioneller Begleitung. Ich arbeite bewusst mit niedrigschwelligen Materialien, anschaulichen Beispielen aus dem Schulalltag und realistischen Szenarien.
Was außerdem hilft: Humor, eine Prise Selbstironie – und das Wissen, dass niemand perfekt starten muss. Ich bin selbst keine Technikexpertin und witzle dann schon mal rum, wieso ausgerechnet ich Mediendidaktikerin geworden bin. In meinen Zoom-Meetings sieht man mich dann auch öfters nach dem richtigen Button suchen, Anwendungen falsch verwenden oder Häkchen falsch setzen. Ich zeige offen: Auch ich muss regelmäßig dazulernen, das gehört einfach dazu und ist gar nichts Schlimmes.
Was immer wieder Vertrauen schafft: die Erkenntnis, dass digitale Medien nicht statt, sondern unterstützend zu bewährten analogen Methoden zum Einsatz kommen können – besonders dann, wenn sie konkrete Entlastung oder neue Möglichkeiten für den eigenen Unterricht bieten.
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Fortbildungsinhalte für ältere Kolleg*innen und / oder diejenigen, die wenig Erfahrung im Bereich Digitales haben?
Martina Braasch: Viele ältere Kolleg*innen wünschen sich keine Tool-Show, sondern verständliche Einblicke in sinnvolle Einsatzmöglichkeiten digitaler Medien – abgestimmt auf ihren Unterrichtsalltag. Oft höre ich, dass sie sich erschlagen fühlen von den Tools, die überall herumgeistern. Das führt zu Blockaden. Ich betone gerne einige wesentliche Elemente, wie zunächst ein kleines, funktionierendes Tool-Set für verschiedene didaktische Einsatzmöglichkeiten – ich nenne es das digitale Federmäppchen. In meinen Fortbildungen steht die lernförderliche Gestaltung von Lernpfaden und Selbstlernumgebungen zum selbstgesteuerten Lernen oft im Fokus. Dafür braucht es nicht viele Tools, man kann sich auf zwei bis drei festlegen und ist damit bestens ausgestattet. Auch kooperative Lernformen lassen sich mit wenigen Tools sinnvoll unterstützen.
Der zweite Aspekt umfasst die mediendidaktischen Grundlagen: Wozu nutze ich digitale Medien, nicht nur, wie? Ebenfalls hilfreich sind Beispiele aus der Schulpraxis, die realistisch und übertragbar sind und die den Lehrkräften eine klare Orientierung geben. Und aktuell ganz spannend und sehr wichtig geworden: Entlastungspotenziale digitaler Tools, zum Beispiel bei Organisation oder Feedback. Da sehe ich enormes Potenzial in den neuen KI-Möglichkeiten, die ich ebenfalls in meinen Kursen thematisiere. Die Lehrkräfte sind oft erstaunt und lernen bereits darüber die Bedeutung digitaler Technologien für ihre Lernenden gut einzuschätzen – KI verändert jetzt alles.
Wenn Sie auf das gesamte Kollegium einer Schule blicken: Wie kann es der Schulleitung und dem gesamten Kollegium gelingen, ältere Kolleg*innen in Sachen Digitalisierung mitzunehmen?
Martina Braasch: Entscheidend ist eine wertschätzende, entwicklungsorientierte Haltung: Digitalisierung darf nicht als Generationenfrage verstanden werden, sondern als gemeinsamer Lernprozess. Ältere Kolleg*innen bringen viel pädagogisches Know-how mit – das sollte nicht relativiert, sondern gezielt eingebunden werden. Schulleitung und Kollegium können unterstützen, indem sie Zeit und geschützte Lernräume schaffen, in denen Fragen erlaubt sind und niemand „bloßgestellt“ wird. Ich habe oft erlebt, dass ältere Lehrkräfte selbstfinanziert in meine Onlinekurse kommen, um Neues zu lernen, ohne einen Gesichtsverlust im Kollegium zu riskieren.
Das zeigt: Die gemeinsame Lernkultur innerhalb des Kollegiums spielt eine große Rolle. In diesem Sinne könnte man auch Peer Learning fördern, zum Beispiel Tandems oder Hospitationen mit digital-affinen Kolleg*innen, die einfach mal zeigen: „So mache ich das und wenn du willst, zeige ich dir, wie auch du es schaffst.” Und aus meiner speziellen Erfahrung kann ich sagen: Individuelle Lernwege sind auch für Lehrkräfte Gold wert – etwa über Onlineformate, die im eigenen Tempo bearbeitet werden können. Wichtig ist: Es braucht keinen Perfektionismus, sondern Mut zur nächsten machbaren Veränderung.