lautstark. 27.06.2025

Bildungsbiografien von Referendar*innen nutzen

AusbildungFortbildungMedienkompetenzWeiterbildungVorbereitungsdienst

Künstliche Intelligenz in der Lehrkräfteausbildung

Um Schüler*innen das Thema Künstliche Intelligenz (KI) zu vermitteln und den Umgang damit einzuüben, braucht es Pädagog*innen mit entsprechenden Kompetenzen. Auf welchem Stand ist die Lehrkräfteausbildung auf dem Gebiet der KI? Wir haben mit Fachleiterin Catrin Ingerfeld-Bloemertz und Lehrerin Franziska Sellin gesprochen.

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  • Ausgabe: lautstark. 03/2025 | Digitalisierung in Schule: Zeit für eine neue Lernkultur
  • im Interview: Catrin Ingerfeld-Bloemertz
  • Funktion: Lehrerin und Fachleitung Deutsch am ZfsL Mönchengladbach
  • im Interview: Franziska Sellin
  • Funktion: Lehrerin am Franz-Haniel-Gymnasium in Duisburg-Homberg
  • Interview von: Nadine Emmerich
  • Funktion: freie Journalistin
Min.
Franziska Sellin studierte Deutsch und Pädagogik auf Lehramt an der Ruhr-Universität Bochum und absolvierte ihr Referendariat am Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung (ZfsL) Mönchengladbach. Ihre Ausbildungsschule war das Gymnasium St. Wolfhelm in Schwalmtal. Aktuell arbeitet sie noch bis Februar 2026 am Franz-Haniel-Gymnasium in Duisburg-Homberg.

Welche Rolle spielt KI in der Lehrkräfteausbildung? Welche Vorkenntnisse haben Lehramtsanwärter*innen (LAA)?

Catrin Ingerfeld-Bloemertz: Im Jahr drei nach Ausrollen von ChatGPT dürfen wir nicht mehr nur über die Technik nachdenken, sondern müssen uns auch Gedanken über die Transformation im Bildungswesen machen: Wie verändern sich durch KI Lehr- und Lernprozesse und welche didaktischen Möglichkeiten eröffnen sich? Und wo, wenn nicht in der Lehrer*innenausbildung, sollten wir damit anfangen? Wir müssen prüfen: Wie ist KI in der schulischen Realität angekommen? Und wie bekommen wir KI als Querschnittsaufgabe ins Referendariat? Die LAA bringen eigene Ansätze mit. Sie haben viele unterschiedliche Vorerfahrungen, die wir nutzen können.

Welche sind das konkret?

Catrin Ingerfeld-Bloemertz: Das ist vor allem der bildungsbiografische Aspekt, dass sie selber KI bereits selbstverständlich nutzen. Sie haben sich, wie die Schüler*innen auch, ganze Texte von der KI schreiben lassen und sind rasch an die Grenzen des Ghostwriters gestoßen. Genau mit dieser Erfahrung kommen wir ins Nachdenken: Was kann KI leisten und was nicht? Wie kann KI mich in meinem Arbeitsprozess unterstützen? So arbeiten viele mit KI als Tutorin und Partnerin für das eigene Lernen und Schreiben, benutzen die Sprachapp als Sparringspartnerin bei der Unterrichtsplanung, illustrieren Zusammenfassungen oder erstellen Podcasts aus 200-Seiten-PDFs.

Welche Rolle hat KI in deinem Studium gespielt, Franziska?

Franziska Sellin: In meiner Schulzeit hatte ich das Glück, dass ich bei einer Lehrerin Unterricht hatte, die Vorreiterin in Sachen Digitalisierung war. Im Studium ging es dann wieder einen Schritt zurück. Das war sehr analog, sowohl was die Inhalte anging als auch die Art, wie die Seminare aufgebaut waren. KI war kein Thema, entsprechende Feedback- und Umfragetools habe ich erst im Referendariat kennengelernt. Da mein Studium aber schon zwei Jahre her ist, kann ich mir vorstellen, dass sich das mittlerweile geändert hat. 

Wie wurde KI dann im Referendariat thematisiert?

Franziska Sellin: Zusammen mit Catrin hatten wir vor allem im Fach Deutsch viel Raum, um KI kennenzulernen, auszuprobieren, Chancen und Grenzen zu reflektieren und abzuwägen. Wir hatten die Praxis stark im Blick und haben immer alles selbst durchgespielt. Wichtig war für mich, das Gelernte zusammen mit den Schüler*innen im Unterricht zum Thema zu machen und den Umgang damit einzuüben.

Kannst du dazu ein Beispiel nennen?

Franziska Sellin: Als wir das Tool "Fiete.ai" kennengelernt haben, haben wir erst mal selbst einen Brief geschrieben und anschließend den Feedbackprozess durchlaufen. Wir haben geschaut: Wie fühlt sich das an? Inwiefern kann der Prozess des Schreibens durch solche Anwendungen unterstützt werden? Meine Schüler*innen haben dann die Aufgabe bekommen, als Vorbereitung auf die Klassenarbeit eine Analyse zu schreiben und mithilfe der KI zu korrigieren. Dabei sollten sie immer auch das eigene Köpfchen einschalten und einen kritischen Blick haben.

Auf welchem Stand sind die meisten Fachleiter*innen?

Catrin Ingerfeld-Bloemertz: Das ist heterogen. Ich bemerke, dass sich der überwiegende Teil auf den Weg gemacht hat. Wir bekommen Anfragen aus anderen Seminaren, ob wir uns vernetzen oder wechselseitig an Fortbildungen und Workshops teilnehmen wollen. Plattformen wie Bluesky und LinkedIn sind nicht zu unterschätzen, weil es dort Angebote gibt, Materialien zu teilen und über die Fachdidaktik ins Gespräch zu kommen. Vor allem der Open-Educational-Ressources-Gedanke (OER) kann uns voranbringen.

Catrin Ingerfeld-Bloemertz ist Lehrerin und Fachleitung Deutsch am ZfsL Mönchengladbach. Zusammen mit Iris Laube-Stoll bloggt sie zu Schule, Unterricht und Lehrkräfteausbildung auf www.ingerfeldundlaube.de und auf Instagram unter @ingerfeldundlaube.

Was heißt das weitergedacht?

Catrin Ingerfeld-Bloemertz: Es wäre mein Wunsch, einen partizipativen Ansatz einzuführen: Wen könnten wir aus den Universitäten mitdenken? Wer aus dem Schulkollegium kann seine Expertise einbringen? Wie geben wir den LAA und deren Erfahrungen eine Stimme? Wir könnten noch mehr zeigen, wie es bundesweit in der Unterrichts- und Seminarpraxis aussieht. Der bayerische Seminarlehrer Georg Schlamp hat zum Beispiel den CustomGPT eduCheck aufgesetzt, mit dem Referendar*innen die Unterrichtsvorbereitung reflektieren können. Es gibt viel, wir müssen es nur sichtbar machen. 

Wie leitest du deine LAA beim Thema KI an? Um welche Fragen geht es?

Catrin Ingerfeld-Bloemertz: Ein Beispiel: In der ersten Sitzung haben wir unseren Albtraum Referendariat bebildert – das erste Bild war bei allen erschreckend schlecht. Das war Anlass, zu fragen: Wie funktioniert ein Prompt, der uns ein gutes Bild generiert, mit dem wir über unsere Ängste zum Thema Vorbereitungsdienst ins Gespräch kommen? Wie bedienen wir die KI, um mit ihr kokreativ zu arbeiten? Und auf dieser Basis: Wie gehen wir ins Gespräch mit den Schüler*innen, damit sie vernünftig prompten und KI lernförderlich einsetzen können?

Wir überlegen auch zusammen, wie uns KI bei der Unterrichtsplanung helfen kann. In den ersten Versuchen sind oft Halluzinationen und Vorstellungen von Unterricht aus den 1970er-Jahren mit einer totalen Lehrer*innenzentrierung drin. Wir haben gesehen: KI spuckt nichts Vernünftiges aus, wenn wir nicht sachanalytisch vorgehen und eine Vorstellung davon haben, Lernende ins Gespräch über Inhalte zu bringen.

Wie nutzt du, Franziska, KI für dich?

Franziska Sellin: Für mich selbst ist es immer hilfreich, KI zu fragen, wenn es um etwas geht, das ich noch nicht unterrichtet habe, und ich gerade keine*n Kolleg*in nach einem Vorschlag oder Zugang fragen kann. Man muss aber genau prompten, um welche Jahrgangsklasse und was für eine Lerngruppe es geht, und am Ende das, was rauskommt, hinterfragen. Nicht alles ist direkt gut und für meine Lerngruppe nutzbar. Ich komme aber auf erste Ideen, die es mir erleichtern, eine runde Stunde zu zaubern, die über klassische Methoden hinausgeht.

Welche Probleme oder Unsicherheiten gibt es bei LAA im Umgang mit KI?

Franziska Sellin: Für mich war es am Anfang schwierig, abzuwägen und einzuschätzen, wann ich mich aus dem analogen Arbeiten löse und wann die Nutzung der KI wirklich zweckdienlich ist. Außerdem gehören Fragen zum Datenschutz dazu. Und viele Sachen kosten Geld. Ich hatte mit Catrin eine Fachleitung, die uns die Zugänge ermöglicht hat, wenn keine Schullizenzen zur Verfügung standen. Ansonsten kann man sich das im Referendariat nicht leisten.

Was müsste sich an der Ausbildung ändern?

Franziska Sellin: KI müsste Teil des Studiums sein, sodass man nicht erst im Referendariat damit konfrontiert ist. Es sollte fächer- und seminarübergreifend thematisiert werden. Man braucht Raum, um mit Schüler*innen nicht nur über KI zu sprechen, sondern damit zu arbeiten. Mir ist aufgefallen, dass zwischen den unterschiedlichen Fächern ein Gefälle besteht, auch wenn alle sehr bemüht waren. Die Fachleitungen müssen sich das ja ebenfalls aneignen. Das ist ein Prozess, den man natürlich nicht von heute auf morgen erwarten kann.

Wie soll man als Lehrkraft reagieren, wenn Hausaufgaben mit KI erstellt wurden?

Catrin Ingerfeld-Bloemertz: KI geht nicht mehr weg und hat eine disruptive Kraft. Das müssen wir als Chance und Auftrag begreifen, über die Aufgabenkultur neu nachzudenken. Zentral werden Reflexion, Transfer und persönliche Auseinandersetzung. Jede KI macht eine bessere Präsentation, als ich das selbst kann. Warum sollte ich das nicht nutzen? Ich muss aber sehr wohl überprüfen können, worin die inhaltliche und präsentative Eigenleistung besteht. Wenn eine offensichtlich KI-generierte Hausaufgabe vorgelesen wird, können wir das im Unterricht zum Anlass nehmen, über den Wert von Hausaufgaben ins Gespräch zu kommen und gemeinsam darüber nachzudenken, wie diese maschinengemachten Texte funktionieren.

Wie sind überhaupt die Möglichkeiten an Schulen, mit KI zu arbeiten?

Franziska Sellin: Ich habe noch nicht so viele Schulen gesehen, aber ich war an einer Schule tätig, wo noch nicht mal ein iPad-Koffer vorhanden war. Im Referendariat hatte ich das Glück, an einer Schule zu sein, die digital voll ausgestattet ist, wo es nur digitale Tafeln und iPad-Klassen ab der Jahrgangsstufe neun gab. Jetzt bin ich an einer Schule, die in jedem Raum einen Beamer hat. Die beste Ausstattung bringt einen aber nicht weiter, wenn man sie nicht bedienen kann. Deswegen ist es wichtig, die Technik nutzbar zu machen. Ich komme gerade aus dem Referendariat, ich könnte zum Beispiel weitergeben, was ich dort gelernt habe.

Catrin Ingerfeld-Bloemertz: Wir haben mit den LAA eine Riesenchance, die erste und zweite Phase zu verzahnen. Wir sind lebenslang Lernende, und sie bieten uns und den Schulen ihre Bildungsbiografie und ihre Expertise an. Es gibt keine besseren didaktischen Doppeldecker1 für KI und Medienkompetenz.