lautstark. 27.06.2025

Best Practice: KI in Schule und Unterricht einsetzen

Digitalität im UnterrichtMedienkompetenzDigitale AusstattungBelastungChancengleichheitGymnasium

Eine Frage der Teilhabe

Ob KI in Schule genutzt werden sollte? Diese Frage stellt sich am Kölner Gymnasium Thusneldastraße nicht mehr, denn die Technologie ist längst bei den Schüler*innen angekommen. Hier lernen sie vielmehr, wie sie KI im Schulalltag reflektiert nutzen können. Wie das gelingen kann, damit niemand digital abgehängt wird, erklärt Schulleiter André Szymkowiak.

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  • Ausgabe: lautstark. 03/2025 | Digitalisierung in Schule: Zeit für eine neue Lernkultur
  • Autor*in: André Szymkowiak
  • Funktion: Schulleiter des Gymnasiums Thusneldastraße in Köln-Deutz
Min.

Es war im November 2022 als das amerikanische Unternehmen OpenAI seinen KI-Chatbot Generative Pre-trained Transformer – kurz: ChatGPT – öffentlich zugänglich machte. Innerhalb weniger Wochen wurde der Textgenerator millionenfach genutzt – auch von Schüler*innen. Hausaufgaben, Facharbeiten, Präsentationen: Vieles, was vorher Zeit, Recherche und Konzentration erforderte, konnte nun mit wenigen Klicks erledigt werden. Die Eingabe weniger, teils ungenauer Anweisungen reichte, um Texte zu produzieren, die für schulische Zwecke erstaunlich brauchbar wirkten. 

Bildungsgerechtigkeit in Zeiten digitaler Ungleichheit

Heute, zweieinhalb Jahre später, sind spezialisierte KI-Anwendungen noch benutzerfreundlicher geworden. Ein Smartphone-Foto einer Matheaufgabe reicht oft aus, um eine verständliche Lösung inklusive Erklärung zu erhalten – binnen Sekunden. Die Diskussion darüber, ob KI in der Schule genutzt werden soll, hat sich damit erledigt. Schüler*innen nutzen sie längst – mal reflektiert, mal nicht, mal unterstützend, mal um sich Arbeit zu sparen. Diese Entwicklung stellt das Bildungssystem vor große Herausforderungen. Denn sie verschärft eine alte Frage neu: Wer profitiert? Wer hat Zugriff auf leistungsfähige Geräte, auf digitale Kompetenzen, auf Unterstützung im Elternhaus? Wer kann die Qualität der KI-Ergebnisse überhaupt beurteilen? Wenn die Schule diese Fragen nicht aktiv aufgreift, vertieft sich die soziale Spaltung. Kinder und Jugendliche aus bildungsnahen Haushalten nutzen KI anders – reflektierter, strategischer, oft mit familiärer Begleitung. Genau deshalb muss Schule das Thema aufgreifen, um Teilhabe zu ermöglichen. Und zwar jetzt.

Vom Einzelphänomen zur Schulentwicklung

An unserem Gymnasium in der Kölner Innenstadt– mit einer sozial heterogenen Schüler*innenschaft – hat sich früh ein Wandel angedeutet. Erste „Early Adopters“ unter den Lernenden haben KI-Tools selbstständig in ihren Arbeitsprozess integriert. Sobald erste datenschutzkonforme Lösungen verfügbar waren, haben wir als Schule reagiert – mit Fortbildungen, Austauschformaten und dem Aufbau verlässlicher Strukturen für einen pädagogisch verantworteten KI-Einsatz. Die größte Hürde: verstehen, was sich durch KI eigentlich verändert. Es reicht nicht, ChatGPT als weiteres digitales Tool einzuführen. Die Technologie stellt Grundannahmen infrage – über Textproduktion, Problemlösen, Lernen und Prüfen. Deshalb ist es entscheidend, das Kollegium im ersten Schritt grundlegend zu informieren: Wie funktioniert generative KI? Was kann sie – und was nicht? Wo liegen Risiken, wo Chancen? Nur wer die Technologie versteht, kann ihren Einsatz sinnvoll gestalten.

Professionalisierung als Schlüssel

Nach der grundlegenden Einführung brauchen Kolleg*innen praxisnahe, individualisierte Fortbildungsangebote. Denn die Heterogenität in den Kollegien ist groß – in Bezug auf digitale Kompetenzen, aber auch auf Fächerkulturen und pädagogische Haltung. Schulleitungen sind hier gefordert: Sie müssen Zeitfenster schaffen, Austausch organisieren und Kooperationen fördern. In unserem Kollegium hat sich die Bildung kleiner Expert*innenteams bewährt, die mit Fachgruppen und Einzelpersonen in den Dialog gehen. Diese Strukturen zu etablieren, kostet Zeit, spart aber langfristig Ressourcen.

André Szymkowiak ist Schulleiter des Gymnasiums Thusneldastraße in Köln-Deutz

Der klassische Bildungsbegriff, der darauf basiert, Wissen zu erwerben und Kompetenzen nachzuweisen, reicht im KI-Zeitalter nicht mehr aus. Vielmehr müssen die soge-nannten vier K im Mittelpunkt stehen: Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken.

Trotz aller Fortschritte stehen wir noch am Anfang. Zwar gibt es in nahezu allen Fächern erste Einsatzformen von KI, doch das Potenzial ist längst nicht ausgeschöpft. Momentan überwiegen zwei Nutzungsarten: KI als Lernhilfe – zum Beispiel beim Strukturieren von Texten oder beim Erklären mathematischer Lösungswege – und KI als Rückmeldeinstrument für Schüler*innenprodukte. Beide Formen integrieren bereits eine kritische Reflexion des KI-Einsatzes, etwa durch Vergleiche zwischen menschlicher und maschineller Lösung.

Lernwege individualisieren – mit und durch KI

Unser Ziel geht noch einen Schritt weiter: Wir wollen KI nutzen, um individualisierte Lernwege zu ermöglichen. Die Vision: Schüler*innen bekommen Aufgaben, Impulse und Rückmeldungen, die zu ihrem aktuellen Lernstand passen – nicht überfordernd, aber auch nicht unterfordernd. Das Stichwort lautet: kalkulierte Herausforderung, wie es der Pädagoge Josef Leisen formuliert. Für Lehrkräfte bedeutet das: mehr Differenzierung bei gleichzeitig sinkendem Vorbereitungsaufwand. Für diesen Paradigmenwechsel brauchen wir aber kollegiale Unterstützung – niemand sollte mit dieser Aufgabe alleingelassen werden.

Neue Kompetenzen, neue Prüfungsformate?

Der klassische Bildungsbegriff, der darauf basiert, Wissen zu erwerben und Kompetenzen nachzuweisen, reicht im KI-Zeitalter nicht mehr aus. Vielmehr müssen die sogenannten vier K im Mittelpunkt stehen: Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken. KI kann hier ein wertvolles Werkzeug sein – etwa als Sparringspartnerin beim Brainstorming, als Übersetzerin schwieriger Texte oder als Analysehilfe bei komplexen Fragestellungen.

Ein Beispiel: Eine Schülerin möchte sich mit einer wissenschaftlichen Studie zum Klimawandel beschäftigen, versteht die Originalsprache aber kaum. Mithilfe eines Sprachmodells kann der Text vereinfacht und zusammengefasst werden – verständlich, aber ohne inhaltliche Verkürzung. So wird für die Schülerin ein Zugang zu Materialien möglich, der vorher verschlossen war. Ähnliche Szenarien lassen sich auf nahezu alle Fächer übertragen – von Quellenkritik in Geschichte bis zur Textarbeit im Deutschunterricht.

Die Kehrseite: Prüfungsformate müssen sich mitentwickeln. Wenn KI mitarbeitet, kann klassische Reproduktion kaum der Maßstab sein. Die Kultusministerkonferenz hat bereits 2016 und erneut 2021 Leitlinien zur digitalen Bildung formuliert. Doch bis diese in Prüfungsordnungen und Vorgaben sichtbar werden, wird es wohl noch dauern.

Pilotprojekte unterstützen die schulische Praxis

Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, dass Pilotprojekte wie KIMADU – kurz für Künstliche Intelligenz im Mathematik- und Deutschunterricht – die schulische Praxis unterstützen. Das Projekt wurde Anfang 2025 vom Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen in Zusammenarbeit mit der Universität Siegen ins Leben gerufen. Ziel ist es, den Einsatz generativer KI in den Fächern Deutsch und Mathematik systematisch zu erforschen und praxistaugliche Konzepte zu entwickeln. Insgesamt 25 Schulen aller Schulformen aus ganz NRW wurden ausgewählt – darunter auch unser Gymnasium. 

Ausschlaggebend für die Teilnahme waren ein bestehendes digitales Schulentwicklungskonzept sowie die Bereitschaft, neue Wege zu erproben und wissenschaftlich zu begleiten. KIMADU zielt darauf ab, allen Schulen in NRW einen niedrigschwelligen Einstieg in den pädagogisch sinnvollen KI-Einsatz zu ermöglichen – unabhängig von Schulform oder Ausstattung. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Gestaltung koaktiver Lernprozesse: KI soll nicht für die Lernenden denken, sondern sie begleiten – durch verständliche Erklärungen, individuelle Rückmeldungen und motivierende Impulse. Die Verantwortung für den Lernprozess bleibt beim Menschen, aber die KI wird zur lernförderlichen Sparringspartnerin.

Gestalten statt abwarten

KIMADU ist ein notwendiger Schritt in Richtung zukunftsfähiger Bildung. Es zeigt, dass KI nicht als Bedrohung, sondern als Chance gesehen werden kann – wenn sie didaktisch reflektiert und sozial verantwortet eingesetzt wird. Die Herausforderungen sind real: Datenschutz, Chancengleichheit, Prüfungsformate. Aber ebenso real ist das Potenzial: für mehr Individualisierung, mehr Teilhabe und eine neue Lernkultur, in der Schüler*innen nicht nur Wissen reproduzieren, sondern sich als kritisch reflektierende Gestalter*innen ihrer Zukunft erleben. 

Was ist KIMADU?

Das Pilotprojekt KIMADU unterstützt weiterführende Schulen in NRW seit Anfang 2025 dabei, KI in den  Mathematik- und Deutschunterricht zu integrieren. 

KIMADU ist ein Projekt der Universität Siegen und wird gefördert durch das Ministerium für Schule und Bildung des Landes NRW. Insgesamt nehmen 25 Schulen teil.  Im Pilotprojekt entstehen – wissenschaftlich begleitet und in der Praxis getestet – Unterrichtsformate, die sowohl fachliches Lernen als auch überfachliche Kompetenzen ebenso fördern wie die von der OECD ausgegebenen 21st Century Skills und die vom MSB NRW definierten 4K-Kompetenzen.Dabei fokussiert KIMADU sowohl das Lernen der Schüler*innen mit generativen KI-Tools als auch die Einstellungen und Kompetenzen der Lehrkräfte. Der Austausch zwischen den Projektschulen wird über Onlinesprechstunden, Tagungen und eine zentrale Projektplattform intensiviert. Die Ergebnisse der Projekt- und Forschungsarbeit werden in wissenschaftlichen Artikeln und einem Abschlussbericht veröffentlicht. Bis zum Ende des Schuljahres 2026 / 2027 sollen die im Rahmen von KIMADU entwickelten Konzepte als Open Educational Resources (OER) veröffentlicht werden.

Mehr Infos zum KI-Forschungsprojekt KIMADU