lautstark. 12.09.2025

Keine Wissenschaftsfreiheit ohne gute Grundfinanzierung

Die Macht der Drittmittel

Hochschulen und Forschungseinrichtungen finanzieren sich zu mehr als 25 Prozent aus Drittmitteln. Verschieben sich dadurch Macht und Einfluss in Wissenschaft und Forschung? Wir haben nachgefragt bei Andreas Keller, GEW-Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung.

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  • Ausgabe: lautstark. 04/2025 | Wissenschaft und Macht: Neue Strukturen schaffen
  • im Interview: Dr. Andreas Keller
  • Funktion: ist Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung der GEW
  • Interview von: Vanessa Glaschke
  • Funktion: Redakteurin der GEW NRW
Min.

Wie groß ist der Anteil an Drittmittelförderung an Hochschulen in Deutschland und in NRW? Von wem stammen die Drittmittel zu welchen Anteilen?

Andreas Keller: In der Hochschulfinanzierung haben Drittmittel eine enorme Bedeutung. Bundesweit stehen nach Angaben des aktuellen DGB-Hochschulreports knapp 22 Milliarden Euro Grundmitteln 8 Milliarden Euro Drittmittel gegenüber. An den Hochschulen NRWs, wo rund ein Viertel aller Studierenden eingeschrieben ist, kommen auf 5,4 Milliarden Euro Grundmittel 1,6 Milliarden Euro Drittmittel.

Was vielen nicht bewusst ist: Mit 15 Prozent kommt nur ein kleiner Teil der Drittmittel aus der Wirtschaft. Der Löwenanteil der Drittmittel sind staatliche Gelder: 35 Prozent sind Projektmittel von Bund, Ländern und öffentlich-rechtlichen Körperschaften, 31 Prozent macht die Förderung durch die von Bund und Ländern finanzierte Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) aus, 10 Prozent sind Mittel der Europäischen Union. Weitere 7 Prozent kommen von Stiftungen, deren Zuwendungen infolge des großzügigen deutschen Stiftungsrechts auch gut zur Hälfte staatlich subventioniert sind. 

Dem hohen Drittmittelanteil in der Hochschulfinanzierung liegt also die politische Entscheidung von Bund und Ländern zugrunde, immer mehr staatliche Gelder über befristete Projekte und Wettbewerbe ins Hochschulsystem zu geben und bei der Grundfinanzierung zu geizen, zunehmend auch massiv zu kürzen, wie aktuell etwa trotz massiver Proteste von GEW und Bündnispartner*innen in Berlin und Hessen.

Diese Schieflage in der Wissenschaftsfinanzierung ist übrigens auch ein Grund für die ungezügelte Befristungspraxis an Hochschulen. Das war Ausgangspunkt für den Antrag „Nachhaltige Hochschulfinanzierung – Grund- statt Projektfinanzierung“, den der GEW-Gewerkschaftstag im Mai 2025 in Berlin verabschiedet hat.

Dr. Andreas Keller ist Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung der GEW.

Inwieweit geht im Rahmen der privaten Drittmittelförderung die Macht über Wissenschaft und Forschung von den Hochschulen an die Wirtschaft über?

Andreas Keller: Bei der privaten Drittmittelfinanzierung von Forschung oder gar Auftragsforschung ist die Machtposition von Unternehmen offenkundig. Diese geben die Fragestellungen und Ausrichtung der von ihnen finanzierten Forschung vor, unter Umständen können sie die Forschungsergebnisse kommerziell verwerten.

Aber wie gesagt: Nur ein Bruchteil der Drittmittel kommt von privaten Unternehmen, insofern sind wir insgesamt noch weit davon entfernt, dass Hochschulen verlängerte Werkbänke oder Labore der Industrie sind. Es spricht im Übrigen grundsätzlich nichts dagegen, dass Hochschulen mit Unternehmen kooperieren, Innovationen und praxisnahe Forschung fördern und den Wissenstransfer in Wirtschaft und Gesellschaft organisieren. 

Gerade für die regionale Wirtschaftsentwicklung spielen Hochschulen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Es kommt aber darauf an, dass die Zusammenarbeit transparent gestaltet und die Wissenschaftsfreiheit geachtet wird. Hochschulen dürfen auch niemals von der finanziellen Unterstützung durch Unternehmen abhängig werden. 

Gibt es neben Drittmittelförderung andere Wege, auf denen Unternehmen Einfluss auf Wissenschaft und Forschung nehmen?

Andreas Keller: Ja, Unternehmen können auch durch Lobbying Einfluss darauf nehmen, welche Themen und Fragestellungen in der Forschung für relevant gehalten werden und wofür Bund und Länder Fördergelder bereitstellen, zum Beispiel für die Mikroelektronik, Batterieforschung oder die Entwicklung digitaler Bildungsmedien. Unternehmensstiftungen spielen dabei eine wichtige Rolle.

Nicht selten wird Wissenschaftler*innen über lukrative Nebentätigkeiten ein Anreiz für eine Priorisierung gewünschter Forschungsschwerpunkte gegeben. Letztlich gehört auch die Zusammenarbeit in Lehre und Studium über Praktika und duale Studiengänge in diesen Kontext.

Auch hier gilt: Es spricht überhaupt nichts gegen eine enge Verknüpfung von Theorie und Praxis im Studium bis hin zur Verzahnung von Betrieb und Hochschulen im dualen Studium. Entscheidend ist, dass die Praxisanteile der Ausbildung kritisch reflektiert werden und das Studium insgesamt wissenschaftsgeleitet ist. 

Inwiefern spielt Macht eine Rolle bei staatlichen Drittmitteln und mit welchen Auswirkungen?

Andreas Keller: Über die direkte staatliche Forschungsförderung möchten Ministerien gezielt wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen, um politische Entscheidungen vorzubereiten, zu unterstützen oder umzusetzen – ähnlich wie in der Ressortforschung durch staatliche Institute wie das Robert Koch-Institut. Hier ist der Machtfaktor evident! In einer Demokratie halte ich diese Art der Forschungsförderung aber für legitim, solange umfassende Transparenz gewährleistet ist, unter anderem durch eine Veröffentlichung der Forschungsergebnisse. Es ist richtig und wichtig, dass die Politik der Wissenschaft Anreize gibt, um sich in der Bildungs-, Klima- oder Genderforschung zu engagieren.

Aber auch hier gilt: Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautonomie sind zu respektieren, insbesondere dürfen Wissenschaftler*innen nicht darauf angewiesen sein oder gar gezwungen werden, staatliche oder private Drittmittel einzuwerben, um überhaupt Forschung betreiben zu können. Im Gegenteil sollte sich die Wissenschaft stets ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stellen und die Folgen der Anwendung von Forschungsergebnissen reflektieren.

Diese Herausforderung stellt sich aktuell sehr dringend, wenn es um die Militärforschung geht, zu der die Hochschulen von Politiker*innen gedrängt werden. Die GEW unterstützt Hochschulen, die sich in Zivilklauseln dazu verpflichten, ausschließlich zivile, nicht militärische Forschung zu betreiben, und wendet sich gegen die Militarisierung von Bildung und Wissenschaft.

Wie müsste die Hochschulfinanzierung aus Sicht der GEW gestaltet sein, damit Wissenschaft und Forschung unabhängiger von staatlichen wie privatwirtschaftlichen Drittmitteln sind?

Andreas Keller: Wir brauchen eine auskömmliche, nachhaltige und dynamisierte öffentliche Grundfinanzierung der Hochschulen und Forschungseinrichtungen entsprechend dem wachsenden gesellschaftlichen Bedarf an qualitativ hochwertiger Lehre und Forschung. So haben wir es im neuen wissenschaftspolitischen Programm der GEW formuliert, das der Gewerkschaftstag beschlossen hat. Unter dieser Voraussetzung kann eine zusätzliche Projekt- und Drittmittelfinanzierung staatlicher, privater und zivilgesellschaftlicher Akteur*innen zusätzliche Impulse für Innovationen in Forschung und Lehre setzen.