lautstark. 12.09.2025

Macht umverteilen und Mitbestimmung stärken

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Demokratieverantwortung von Hochschulen

Machtkonzentration und Abhängigkeiten stehen der Demokratie an Hochschulen oft im Weg. Das fördere Zurückhaltung statt Engagement, sagt Amrei Bahr, Juniorprofessorin für Philosophie der Technik & Information an der Universität Stuttgart und Mitinitiatorin der Initiative #LauteWissenschaft. Folgen hat dies über den Wissenschaftsbetrieb hinaus, auch mit Blick auf den Einsatz gegen Rechtsextremismus.

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  • Ausgabe: lautstark. 04/2025 | Wissenschaft und Macht: Neue Strukturen schaffen
  • im Interview: Amrei Bahr
  • Funktion: ist Juniorprofessorin an der Universität Stuttgart & Mitinitiatorin der Initiative#lautewissenschaft
  • Interview von: Nadine Emmerich
  • Funktion: freie Journalistin
Min.

Ist Macht an Hochschulen demokratisch verteilt?

Amrei Bahr: Aus meiner Perspektive sind die vermeintlich demokratischen Gremien an Hochschulen vielfach pseudodemokratisch. Die verschiedenen Statusgruppen sind zwar vertreten und können sich einbringen, haben aber nicht die Möglichkeit, von ihren Mitbestimmungsrechten wirklich Gebrauch zu machen. Es gibt eine Machtkonzentration aufseiten der Professor*innen, die durch ihre Mehrheit in vielen Gremien am längeren Hebel sitzen. Zudem gibt es Abhängigkeitsverhältnisse: Hochschulmitglieder, die befristet bei Professor*innen beschäftigt sind, können ihre eigenen Ansichten nicht immer offenlegen, weil dann die Weiterbeschäftigung wackelt oder sie schlechte Promotionsnoten fürchten.

Was bedeutet das in der Folge? 

Amrei Bahr: Wer an der Hochschule lernt, sich politisch zurückzuhalten, trägt Demokratie nicht weiter und macht sich insgesamt nicht für sie stark. Als nach dem Potsdamer Treffen von Rechtsextremist*innen zahlreiche Menschen für die Demokratie auf die Straße gegangen sind, haben wir in den sozialen Medien viele Diskussionen mit Wissenschaftler*innen geführt, ob sie zu den Demos gehen dürften. Man hat gemerkt, dass die Leute in einer Kultur der Angst sozialisiert sind. Sie sorgen sich, dass es Risiken für ihre berufliche Zukunft haben könnte, politisch Haltung zu zeigen oder sich nicht wie von Vorgesetzten oder der Hochschulleitung gewünscht zu verhalten.

Was müsste sich mit Blick auf Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse ändern?

Amrei Bahr: Alle Statusgruppen haben eine wichtige Rolle und sollten ein wirksames Mitspracherecht haben, von dem sie tatsächlich vollen Gebrauch machen können. Ein Hebel wäre es, die Professor*innenmehrheit in den Gremien zu hinterfragen, damit die, die durch Verbeamtung und weitere Annehmlichkeiten ohnehin in einer mächtigen Position sind, nicht noch diese zusätzliche Entscheidungsmacht haben. Man sollte auch Kurzzeitbefristungen dringend zurückfahren. Leute, die nicht um ihre Weiterbeschäftigung bangen müssen, können politisch ganz anders agieren.

Amrei Bahr ist Juniorprofessorin an der Universität Stuttgart und Mitinitiatorin der Initiative #LauteWissenschaft. Die Initiative ruft die deutsche Wissenschaft dazu auf, sich angesichts der aktuellen Bedrohung unserer Demokratie öffentlich für deren Schutz starkzumachen. Das heißt für Amrei Bahr auch, demokratische Prozesse innerhalb dieser Institutionen so zu gestalten, dass sie eine angemessene Beteiligung sämtlicher Mitglieder ermöglichen: für eine gelebte Demokratie, die im Innen wie im Außen ihre Wirkung entfalten kann.

Haben Hochschulen eine besondere Verantwortung, die Demokratie zu schützen?

Amrei Bahr: Das Fundament, auf dem wir Wissenschaft betreiben, ist unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Wir sind bei dem, was wir tun, auf entsprechende rechtliche und politische Rahmenbedingungen angewiesen. Wenn die unter Druck geraten oder zerstört werden, wird unser Berufsalltag fundamental gestört.

Um zu wissen, wie das konkret aussieht, brauchen wir nur in die USA zu schauen, wo Trump und Co. in großem Stil und in atemberaubender Geschwindigkeit Strukturen abgebaut haben, zum Schaden von Wissenschaft und Demokratie. Wollen wir so etwas als Wissenschaftscommunity vermeiden, sind wir gefordert, uns öffentlich zur Demokratie zu bekennen. Es hat Gewicht, wenn Wissenschaftler*innen etwas sagen, nicht bei allen in der Bevölkerung, aber doch bei vielen.

Wie reagiert die deutsche Wissenschaft auf das, was in den USA passiert?

Amrei Bahr: Zu meiner Verwunderung haben einige den Vorschlag gemacht, Deutschland solle Spitzenforscher*innen anwerben, die aus den USA wegwollen. Abgesehen davon, dass mir unklar ist, was „Spitzenforscher*innen“ sind, habe ich den Eindruck, dass das eigentliche Problem aus dem Blick gerät. Und dass es in Deutschland allen deutlichen Signalen zum Trotz vielleicht auch die Idee gibt, wir seien weit davon entfernt, in einer ähnlichen Situation zu landen. Ich glaube aber, das ist eine naive Vorstellung.

Machen Sie das an etwas Konkretem fest?

Amrei Bahr: Wissenschafts- und demokratiefeindliche Tendenzen sind nicht nur Phänomene außerhalb der Hochschulen. Es gibt auch innerhalb der Wissenschaft Tendenzen, Fragestellungen und Teildisziplinen zurückzudrängen oder demokratische Strukturen zu hinterfragen. Der frühere Präsident der Universität Hamburg, Dieter Lenzen, hat in der FAZ den Vorschlag gemacht, um in der Exzellenzstrategie Erfolg zu haben, sollten Präsidien „negative Einflüsse von Gremien neutralisieren“. Das halte ich für fatal. Die Exzellenzstrategie provoziert zudem einen Hyperwettbewerb: Man lässt Hochschulen gegeneinander antreten. Im Kampf gegen die Bedrohung der Demokratie ist auch das problematisch. Konkurrenz verhindert Solidarität – dabei brauchen wir breite Allianzen gegen Rechtsextremismus.

Steht das Neutralitätsgebot der Hochschulen dem Engagement für Demokratie entgegen?

Amrei Bahr: Die regelmäßig geäußerte Forderung nach Neutralität führt in die Irre. Was da verlangt wird, ist keine Neutralität. Diejenigen, die diese Forderung vorbringen, verbinden damit ihrerseits eine politische Agenda. Sie wollen gerade nicht, dass sich die Wissenschaft etwa zur Frage eines AfD-Verbots äußert. Wir sind aber alle dazu verpflichtet, die Demokratie zu schützen. Darum ist es wichtig, dass auch die Wissenschaftscommunity ein Verbotsverfahren einfordert. Damit verbunden ist außerdem die Frage, wie wir Wissenschaftskommunikation gestalten sollten.

Was meinen Sie damit konkret?

Amrei Bahr: Ich habe manchmal den Eindruck, man glaubt, die Spielregeln der Wissenschaft würden ebenso in der Politik gelten. Das ist aus meiner Sicht eine Fehlannahme. Bestimmten Beteiligten in der Politik geht es darum, rhetorische Tricks zur Manipulation zu verwenden. Solchen Kommunikationsstrategien kann man nicht beikommen, wenn man sie wie redliche wissenschaftliche Argumente behandelt. Auch ethische Erwägungen spielen hier eine Rolle.

Was wären solche Überlegungen?

Amrei Bahr: Wenn sich Meinungen gegenüberstehen, die unvereinbar sind, muss man eine davon vielleicht gar nicht diskutieren – weil falsche oder moralisch fragwürdige Annahmen dahinterstecken. Bespricht man eine solche Position als Wissenschaftler*in trotzdem, läuft man Gefahr, sie dadurch zu adeln, dass man sie aufgreift. Dafür sollte man sensibel sein. Die Auffassung, man werde mittels intellektueller Überlegenheit die Rechtsextremen entlarven, gibt es auch in der Wissenschaftscommunity. Bei Personen, die unredlich vorgehen, kann man da aber nur verlieren. Leuten, die die Grundlagen unserer Arbeit abräumen wollen, sollten wir in unseren Kontexten nicht auch noch eine Bühne dafür geben.

Was erwarten Sie von Hochschulleitungen?

Amrei Bahr: Ich bin froh, wenn ich aus Rektoraten und Präsidien Äußerungen lese, die in die Richtung gehen: Wir müssen die Demokratie schützen. Aber ich finde das noch zu wenig. Ich wünsche mir aus diesen Reihen deutlich mehr Engagement. Dort sitzen Personen, die Ansehen in der Gesellschaft genießen und entsprechend Macht haben, wenn sie sich öffentlich äußern. Die Verteidigung der Demokratie ist nichts, das man einfach auf den Mittelbau abwälzen kann – sie ist auch Chef*innensache. 

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