lautstark. 12.09.2025

Das Übel bei der Wurzel packen

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Maßnahmen gegen Machtmissbrauch in der Wissenschaft

Viele, die von Machtmissbrauch in der Wissenschaft betroffen sind, schweigen – oder sie haben Schwierigkeiten, die Vorfälle zu melden. Noch im Herbst 2025 soll deshalb die erste landesweit tätige Anlaufstelle für Betroffene in NRW ihre Arbeit aufnehmen. Kritiker*innen fordern jedoch weitere Schritte, um dem Problem wirksam zu begegnen.

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  • Ausgabe: lautstark. 04/2025 | Wissenschaft und Macht: Neue Strukturen schaffen
  • Autor*in: Anne Petersohn
  • Funktion: freie Journalistin
Min.

Seit gut drei Jahren engagiert sich Sophia Hohmann ehrenamtlich im Netzwerk gegen Machtmissbrauch in der Wissenschaft, kurz MaWi. Der Zusammenschluss umfasst rund 30 Mitglieder mit vielfältigen Bezügen zum Wissenschaftssystem – neben Wissenschaftler*innen auch Mitarbeitende aus Technik und Verwaltung. „Wir möchten das Bewusstsein für Machtmissbrauch stärken und aufzeigen, dass die bestehenden Mechanismen nicht ausreichend sind, um ihm wirksam zu begegnen“, sagt Sophia Hohmann.

Bei Machtmissbrauch geht es nicht um Einzelfälle, sondern um ein strukturell verankertes Problem 

MaWi bringt sich in politische Debatten ein und bietet Veranstaltungen für Hochschulen an. Kern der ehrenamtlichen Arbeit aber ist die unabhängige Beratung Betroffener. Gut 40 bis 50 Anfragen bearbeitet das Netzwerk jedes Jahr – Tendenz steigend, wie Sophia Hohmann betont. „Es geht nicht um Einzelfälle, sondern um ein strukturelles Problem, das tief im Wissenschaftssystem verankert ist.“ 

Erste Studien zeigten, dass mindestens 15 Prozent aller Beschäftigten in wissenschaftlichen Einrichtungen von Machtmissbrauch betroffen seien. Viele hätten Skrupel, ihre Erfahrungen öffentlich zu machen – weil ihre Vorwürfe für unglaubwürdig erklärt würden oder aus Angst, ihrer Karriere zu schaden. Das gelte umso mehr für Betroffene, die aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Herkunft ohnehin von Diskriminierung oder Ausgrenzung betroffen sein könnten. „Bei internationalen Forschenden beispielsweise hängt der Aufenthaltstitel in der Regel am Arbeitsvertrag. Sie sind daher besonders vulnerabel für Machtmissbrauch und müssen harte persönliche Konsequenzen fürchten, wenn sie dagegen vorgehen.“

Der interne Blick verhindert die Reflexion von Machtmissbrauch 

Das Bewusstsein für Machtmissbrauch an wissenschaftlichen Einrichtungen sei insgesamt wenig ausgeprägt, betont Sophia Hohmann. „Selbst wenn Anlaufstellen gegen Machtmissbrauch eingerichtet werden, ist darüber in der Öffentlichkeit wenig bekannt.“ Zudem seien dort interne Fachkräfte beschäftigt. „Ihnen fällt es oft schwer, aus der Logik der eigenen Institution auszubrechen.“ Trotz des Engagements einzelner Mitarbeitender mangele es vielerorts an der Reflexion dieser institutionellen Eingebundenheit. 

MaWi fordert daher die Einrichtung einer zentralen und unabhängigen Anlaufstelle für Betroffene. Zusätzlich gelte es, bestehende Machtstrukturen aufzubrechen. Denn aktuell könne etwa bei Qualifikationsarbeiten die Betreuung und Bewertung mit der Rolle als Vorgesetzte*r in einer Person zusammenfallen. „Ebenso wichtig ist die Abschaffung prekärer Beschäftigungsverhältnisse, die Machtmissbrauch mit ermöglichen.“ Nicht zuletzt müsse die Bewertung von Wissenschaftler*innen vielfältiger werden. „Auch Führungskompetenzen und die Art der Lehre sollten berücksichtigt werden, wenn es um die Besetzung von Stellen geht“, erklärt Sophia Hohmann.

Selbst wenn Anlaufstellen gegen Machtmissbrauch eingerichtet werden, ist darüber in der Öffentlichkeit wenig bekannt. Zudem sind dort interne Fachkräfte beschäftigt. Ihnen fällt es oft schwer, aus der Logik der eigenen Institution auszubrechen.

Hochschulen müssen Machtkonzentrationen bei einzelnen Personen auflösen

Ähnliche Schritte fordert die GEW, die das Thema Machtmissbrauch zuletzt verstärkt in den Blick genommen hat. In einem Antrag, der im Mai 2025 beim Gewerkschaftstag in Berlin verabschiedet wurde, haben die Delegierten deutliche Forderungen an Bund, Länder, Hochschulen, Universitätskliniken und außerhochschulische Forschungseinrichtungen formuliert. So gelte es, Hierarchien abzubauen und Betroffenen von Machtmissbrauch effektive Hilfsangebote zu machen, heißt es in dem Beschluss. Zudem müssten Befristungsmöglichkeiten im Arbeitsrecht gesetzlich beschränkt werden.

„Die strukturelle Lösung des Problems liegt auf der Hand. Übertriebene Machtkonzentrationen bei einzelnen Personen gilt es zu überwinden, extreme Abhängigkeitsverhältnisse aufzulösen“, betont auch Andreas Keller, Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung der GEW, in einem Beitrag im Hochschulmagazin DUZ (Ausgabe 06-07/2025, Seite 12: Machtmissbrauch strukturell begegnen). Dabei gehe es insbesondere um die Trennung von Begutachtung, Betreuung und dienstlicher Vorgesetztenfunktion in der Qualifizierungsphase, um die systemischen Risiken für Machtmissbrauch zu mindern.

Darüber hinaus gelte es, ein wirksames Beschwerdesystem an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu schaffen. „Wir brauchen eine unabhängige, bekannte und niedrigschwellig ansprechbare Instanz an jeder Hochschule und Forschungseinrichtung, die Fällen von Machtmissbrauch nachgeht, Betroffene berät und unterstützt und ihnen Anonymität zusichert“, fordert Andreas Keller. Diese Instanz müsse auch in die Lage versetzt werden, im Bedarfsfall Sanktionen in die Wege zu leiten. Zugleich müssten Wissenschaftseinrichtungen Personen in Machtpositionen sensibilisieren und fortbilden sowie Beschäftigte und Studierende empowern.

Einrichtung einer externen Anlaufstelle in NRW befindet sich auf der Zielgeraden

Erste Ansätze in diese Richtung haben die nordrhein-westfälischen Hochschulen im September 2023 in einer Selbstverpflichtungserklärung zum Umgang mit Machtmissbrauch formuliert. Mit dem Ziel eines „sicheren, respektvollen und vertrauensbasierten Umfeldes“ für alle Hochschulangehörigen werde man Machtmissbrauch konsequent ahnden, heißt es darin. Zudem sollten vorhandene Maßnahmen und Präventionsangebote evaluiert und weiter ausgebaut werden. Nicht zuletzt beabsichtige man die Einrichtung einer unabhängigen, landesweit tätigen Anlaufstelle für Opfer und Zeug*innen von Machtmissbrauch. 

Nun, gut zwei Jahre nach der Veröffentlichung, habe die Erklärung in verschiedener Hinsicht Wirkung entfaltet, sagt der stellvertretende Vorsitzende der Landesrektorenkonferenz der Universitäten in Nordrhein-Westfalen, Prof. Ulrich Rüdiger: „Für die Einrichtung der externen Anlaufstelle war ein Ausschreibungsverfahren notwendig, das sich aktuell in den letzten Zügen befindet.“ Voraussichtlich noch im September 2025 könne die Stelle ihre Arbeit aufnehmen.

Die Landesrektorenkonferenz biete Mitgliedsuniversitäten eine Plattform zum Austausch – so auch zum Umgang mit Machtmissbrauch. Dank der Selbstverpflichtungserklärung sei das Thema noch stärker ins Bewusstsein gerückt, so die Einschätzung von Ulrich Rüdiger. „Zudem wurden die universitätsinternen Beratungs- und Unterstützungsstrukturen weiterentwickelt und professionalisiert.“ Inzwischen gebe es vielerorts Anlaufstellen für von Machtmissbrauch und Diskriminierung betroffene Hochschulangehörige.

Die strukturelle Lösung des Problems liegt auf der Hand. Übertriebene Machtkonzentrationen bei einzelnen Personen gilt es zu überwinden, extreme Abhängigkeitsverhältnisse aufzulösen.

Hochschulen bemühen sich um Transparenz und Vereinbarungen gegen Machtmissbrauch

Ein Beispiel ist die TU Dortmund. Neben einer Beratungsstelle zum Schutz vor Diskriminierung und vor sexualisierter Gewalt gibt es dort seit 2023 die AG Machtmissbrauch. In ihr kommen Vertreter*innen aus Forschung und Lehre mit Mitarbeitenden der universitären Beratungsstellen zusammen. „Unser Ziel ist es, Konzepte für Interventionen und Sanktionen zu entwickeln. Außerdem wollen wir für das Thema sensibilisieren und eine Datengrundlage zum Thema Machtmissbrauch schaffen, die uns weitere Schritte ermöglicht“, sagt die Vorsitzende der AG, Maxie Bethge, zugleich Personaldezernentin der TU Dortmund. 

So trage man aktuell Erfahrungen verschiedener Beratungsstellen zusammen, um deren Arbeit zu optimieren. Zudem habe man seit der Gründung der AG bereits zwei öffentliche Veranstaltungen zum Thema Machtmissbrauch organisiert, an denen Interessierte auch anonym teilnehmen konnten. „Gerade in solchen Foren möchten wir zeigen, wie und wo Betroffene Unterstützung bekommen können.“ Um Machtmissbrauch vorzubeugen, gebe es seit 2023 Grundsätze für gute Promotionsbetreuung. Sie sehen unter anderem vor, dass eine Betreuungsvereinbarung zwischen Promovierenden und deren Betreuer*innen geschlossen werden soll. 

Darin seien Erwartungen an die Zusammenarbeit in Form von Aufgaben, Rechten und Pflichten geregelt. Zudem arbeite die TU Dortmund daran, die Beschäftigungsverhältnisse für wissenschaftliche Mitarbeitende zu verbessern: Langfristig sollten 25 Prozent aller Haushaltsstellen unbefristet besetzt werden, erklärt Maxie Bethge. „Außerdem haben wir ein verpflichtendes Programm für neuberufene Professor*innen entwickelt, das sie etwa zu Leadership und den Prinzipien guter Betreuung während der wissenschaftlichen Qualifikationsphase schult.“

Handlungsbedarf gegen Machtmissbrauch bleibt trotz bisheriger Bemühungen groß

Doch trotz aller Bemühungen – das Thema Machtmissbrauch sei schwer fassbar, räumt auch Maxie Bethge ein. Zwar könnten Betroffene wie auch die zuständigen Beratungsstellen bei Bedarf das Personaldezernat und schließlich das Rektorat über Vorfälle informieren. Viele Betroffene wollten aber anonym bleiben. Nachgehen könne man den Fällen nur dann, wenn hinreichend belastbare Anhaltspunkte benannt würden oder sich Vorwürfe gegen eine bestimmte Person mehrten. „Zudem sind die Vorwürfe in der Regel schwer nachweisbar, und wir müssen stets zwischen Opferschutz und den Interessen der beschuldigten Person abwägen.“ Letztlich gelte es vor allem, umfassend über sämtliche Formen des Machtmissbrauchs aufzuklären und Betroffenen einen Weg in die vorhandenen Anlaufstellen aufzuzeigen. „Da müssen wir einfach dranbleiben.“

Auch Sophia Hohmann und ihre Mitstreiter*innen von MaWi bleiben dran. Denn aus ihrer Sicht gibt es weiterhin dringenden Handlungsbedarf. „Man sollte nicht nur denen zuhören, die ohnehin viel zu sagen haben, und nicht nur gesetzgeberisch den Mut aufbringen, die Strukturen im Wissenschaftssystem anzugehen, die Machtmissbrauch (mit-)ermöglichen und Betroffene benachteiligen.“ Ulrich Rüdiger hingegen setzt auf eine langfristige Perspektive: Ob und in welchem Ausmaß die getroffenen Maßnahmen Wirkung zeigten, müsse über einen längeren Zeitraum betrachtet werden.