lautstark. 06.12.2021

Schulgesetzänderung: Keine Verbesserung

SchulrechtFortbildung

Chance vertan für die Schulentwicklung im Schulrecht in NRW

Mit dem 16. Schulrechtsänderungsgesetz soll es endlich einen Schritt vorangehen in Sachen Schulentwicklung und Eigenverantwortung von Schulen. Rainer Michaelis, Ministerialrat a. D. im Schulministerium, war seinerzeit an der Entwicklung und Umsetzung des Modellvorhabens Selbstständige Schule beteiligt und hat für uns den Gesetzentwurf unterdie Lupe genommen.

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  • Ausgabe: lautstark. 07/2021 | Bildung, Religion, Politik: Eine Frage des Glaubens?
  • Autor*in: Rainer Michaelis
  • Funktion Ministerialrat a. D. bis 2017 als Referatsleiter zuständig für Gesamt- und Sekundarschulen
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Die Zielsetzungen des von der rot-grünen Landesregierung vor 20 Jahren gestarteten Modellvorhabens „Selbstständige Schule“ waren ehrgeizig – umgesetzt wurde bis heute allerdings wenig. Nachdem das Schulentwicklungsprojekt, an dem sich 278 Schulen in 19 Bildungsregionen beteiligten, 2008 schließlich von der CDU-geführten Landesregierung sang und klanglos begraben wurde, will die schwarz-gelbe Landesregierung jetzt mit dem 16. Schulrechtsänderungsgesetz angeblich doch mehr Eigenständigkeit für die Schulen im Schulgesetz verankern. Aber handelt es sich um einen wirklichen Fortschritt oder nur um einen faulen Kompromiss?

1. Änderung: Mehr Selbstständigkeit bei Ausbildungs- und Prüfungsordnungen

Im Kern konzentrieren sich die vorgesehenen Schulgesetzänderungen auf die Bereiche Ausbildungs- und Prüfungsordnungen sowie den Aufbau Regionaler Bildungsnetzwerke. Laut § 25 soll Schulen künftig auf Antrag eine erweiterte Selbstständigkeit bei der Ausgestaltung der Ausbildungs- und Prüfungsordnungen ermöglicht werden. Demnach sollen die Schulen mehr Flexibilität bei Stundentafeln, Unterrichtsorganisation, Unterrichtsfächern und Lernbereichen, Versetzungen und der Bildung besonderer Lerngruppen erhalten. Das steht allerdings unter dem Vorbehalt einer Genehmigung durch das Schulministerium und einer jährlichen Berichtspflicht der Schulen.

2. Änderung: Vernetzung durch Regionale Bildungsnetzwerke

Mit dem neuen § 78a sollen erstmals Regionale Bildungsnetzwerke ins Schulgesetz aufgenommen werden – wenn auch nur als Option. In diesen Regionalen Bildungsnetzwerken sollen Schulen, Schulträger und Schulaufsichtsbehörden auf der Grundlage von Kooperationsverträgen zusammenarbeiten. Die Kooperationsverträge sollen zwischen dem Kreis beziehungsweise der kreisfreien Stadt und dem Land abgeschlossen werden, wobei die bisherigen Zuständigkeiten nicht angetastet werden. Die Regionalen Bildungsnetzwerke sollen Verantwortung übernehmen für schulische und außerschulische Bildung, Erziehung und Betreuung junger Menschen. Außerdem sollen sie entsprechende Leistungen erbringen – welche genau, bleibt unklar. Ziel ist die Vernetzung bei Informationsaustausch, Planung und Abstimmung sowie die Stärkung der Schul- und Unterrichtsentwicklung in den Schulen. Das Land soll die Regionalen Bildungsnetzwerke auch für landesweite Bildungsprojekte nutzen können.

Aber: Neuerungen bleiben hinter Modellvorhaben aus dem Jahr 2001 zurück

Beide vorgesehenen Änderungen erinnern sehr an die Öffnungsklausel im Schulentwicklungsgesetz aus dem Jahr 2001, mit der das 2002 begonnene und 2008 abgeschlossenen Modellvorhaben „Selbstständige Schule“ rechtlich ermöglicht wurde. Allerdings konnten die beteiligten Schulen seinerzeit nicht nur bei der Gestaltung und Organisation des Unterrichts von Vorgaben der Ausbildungs- und Prüfungsordnungen abweichen, sie erprobten auch im Bereich der Personal- und Stellenverwaltung, der Stellen- und Sachmittelbewirtschaftung sowie der Schulmitwirkung und Personalvertretung neue Modelle. Anders als jetzt geplant wurden die Schulen dabei damals sowohl finanziell als auch personell unterstützt.

Und auch die Einrichtung Regionaler Bildungsnetzwerke ist nicht neu. So entstanden 2002 im Rahmen des Modellvorhabens „Selbstständige Schule“ 19 Bildungsregionen, in denen die staatliche Schulaufsicht und die Schulträger im Sinne einer Verantwortungsgemeinschaft enger als bisher kooperierten. Im Unterschied zur jetzt vorgesehenen Regelung waren die Bildungsregionen allerdings mit eigenen Budgetmitteln für die Unterstützung der Schulen in der Region ausgestattet.

Auch in anderen Bereichen ging das Modellvorhaben „Selbstständige Schule“ deutlich über die jetzt vorgesehenen Schulgesetzänderungen hinaus. Schulleiter*innen übernahmen beispielsweise bestimmte Aufgaben der/des Dienstvorgesetzten. Die Bewirtschaftung der Personalmittel des Landes wurde durch Einrichtung von Schulbudgets flexibilisiert und insbesondere für Schulleitungen und Mitglieder der schulischen Steuergruppen wurden umfangreiche Fortbildungskonzepte entwickelt und auf regionaler Ebene umgesetzt.

Schulreform: Richtung stimmt, Ziel jedoch in weiter Ferne

Besonders ärgerlich ist, dass Landesregierungen jahrelang dringend notwendige Reformschritte verschlafen haben. Die zukunftsweisenden Ergebnisse des Modellvorhabens „Selbstständige Schule“ wurden nie ernsthaft ausgewertet. Jetzt kurz vor Ende der Legislaturperiode tut die schwarz-gelbe Landesregierung so, als wolle sie den Schulen mehr Handlungsspielraum geben.

Bei genauer Betrachtung weist die geplante Schulgesetzänderung zwar in die richtige Richtung, greift aber deutlich zu kurz. Aussagen zu Finanzierung, Personalausstattung und Entscheidungskompetenzen der Regionalen Bildungsnetzwerke fehlen beispielsweise völlig. Und die längst überfällige Reform der Schulaufsicht, an der im Ministerium jahrelang gearbeitet wurde, wird gar nicht erst erwähnt. Dabei wäre gerade dies eine zwingende Voraussetzung für eine echte Modernisierung und Stärkung der Eigenverantwortung von Schulen.

Fazit: Es wird wieder einmal eine Chance vertan, die Erfahrungen aus dem Modellvorhaben „Selbstständige Schule“für einen neuen Ansatz der Steuerung der Schulentwicklung in NRW zu nutzen und eine Schulreform einzuleiten, die diesen Namen tatsächlich verdient.