Schule 08.10.2018

Ohne Insekten bleiben die Regale im Supermarkt leer

Politische Bildung

Insektensterben als Thema im Unterricht

Das Insektensterben ist längst als Unterrichtsthema in Schule angekommen. Um den stark gefährdeten Bienen zu helfen, werden Schüler*innen aktiv. Sie wissen: Ohne Bienen kommt die Natur aus dem Gleichgewicht. Was geht und wie Lehrer*innen und Schüler*innen unterstützen können, macht das Geschwister-Scholl-Gymnasium in Lüdenscheid vor.

  • Autor*in: Rüdiger Kahlke
  • Funktion: freier Journalist
Min.

Vorsichtig rücken ein paar Fünft- und Sechstklässler des Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Lüdenscheid näher an eine Holzkiste heran. Es ist das erste Mal, dass sie Bienen so nahekommen. Gut geschützt durch Imkerschleier und ein paar Dampfstöße aus dem Smoker. Imker Gregor Rohlmann nimmt den Deckel vom Bienenstock. Vom Zuckerwasser auf dem Boden über den Waben ist kaum etwas übrig. „Die sind eingefüttert“, erklärt er den neuen Mitgliedern der Bienen-AG „Scholli Bees“. Für die Honigbienen beginnt im September die Ruhezeit. Dicht gedrängt in Trauben kuscheln sie bei konstant 35 Grad und trotzen so Wind und Wetter. Die Honigbienen haben es gut bei den Schüler*innen. Die AG kümmert sich aber auch um deren wildlebende Verwandten und beschäftigt sich mit dem Insektensterben.

Lästige Brummer am Kaffeetisch, summende Mücken, Wespen, die am Kuchen naschen: „Menschen unter 40 Jahren können sich kaum erinnern, dass im Sommer die Windschutzscheibe voller Insekten war“, weist Gregor Rohlmann auf das Insektensterben hin. Gemeinsam mit seiner Frau Ulrike betreut er die Scholli Bees. Seit fünf Jahren gibt es die Bienen-AG schon an der Schule und dabei geht es nicht nur um die kleinen Haustiere, die nach Rind und Schwein als wichtigste Nutztierart gelten.

Weckruf: Krefelder Studie zum Sterben der Bienen

Was zunächst als Bienensterben die Runde machte, hat längst weitere Kreise gezogen. Im Herbst 2017 ließ eine Studie aufhorchen: Krefelder Insektenforscher*innen hatten festgestellt, dass die Anzahl der Insekten seit 1990 um 76 Prozent abgenommen hat. Noch stärker war der Rückgang im Sommer, obwohl gerade zu dieser Zeit die Populationen am größten sein müssten. Alarmierend ist, dass die ehrenamtlichen Forscher*innen ihre Untersuchungen in Schutzgebieten durchgeführt hatten, also dort, wo die Lebensbedingungen besonders günstig sein sollten.

Fachleute sind sich einig: Verschwinden die kleinen Krabbler, droht ein großer Öko-Gau und die Natur kommt aus dem Gleichgewicht. „Ohne drastische Wechsel in der Siedlungsplanung, bei der Mobilität, in der Landwirtschaft und beim Klimaschutz wird wohl sehr bald so mancher kleine Helfer mit sechs Beinen ausgestorben sein, mit Folgen, die wir heute noch gar nicht abschätzen können“, sagt Klaus Brunsmeier, Mitglied im Bundesvorstand des BUND. Die Gründe für das Insektensterben sind vielfältig, ergänzt Hans Obergruber, Leiter des Naturschutzzentrums Märkischer Kreis. Durch eine Intensivierung der Landwirtschaft sind Brachflächen und Feldraine verloren gegangen. Sie boten den Insekten mit ihren Wildblumen Nahrung. „Diese Sonderstandorte verschwinden“, sagt Hans Obergruber. Er spricht von einer „Uniformierung der Landschaft“, die zum Artensterben beitrage.

Und dann ist da noch die Chemie. Spritzmittel gegen Unkräuter und Pflanzenschutzmittel treffen nicht nur vermeintliche Schädlinge, sondern auch Schmetterlinge, Hummeln, Bienen oder Mücken, die alle ihren Platz im Ökosystem haben. Allein die Bestäubungsleistung der Insekten hat in Deutschland einen volkswirtschaftlichen Wert von mehr als einer Milliarde Euro jährlich, schätzt das Bundesamt für Naturschutz. Die Erträge würden „ohne eine Bestäubung durch Insekten dramatisch zurückgehen“, mahnt Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes.

Folgen des Insektensterbens sichtbar machen

Wie die Folgen aussehen könnten, macht Ulrike Rohlmann den Scholli Bees am Laptop deutlich: Das Bild zeigt einen prall gefüllten Einkaufskorb. Die Schüler*innen sollen herausfinden, welche der Lebensmittel ohne Insekten fehlen würden. Selbst mehrfach verarbeitete Lebensmittel wie Schokolade gäbe es nicht. Die Folge: gähnende Leere in den Supermarktregalen. Ulrike Rohlmann geht es darum, „die Bedeutung der Insekten für unsere Lebensmittel aufzuzeigen“.

Bienen stehen in Lüdenscheid im Mittelpunkt der AG. Das auch, weil man mit den Honigbienen das ganze Jahr über arbeiten kann, wie Ulrike und Gregor Rohlmann erklären. An den Tieren lässt sich der Nutzen der Insekten gut darstellen. Sie bieten „die Chance der Auseinandersetzung mit Insekten“, bestätigt Tim Gockel, der am Humboldt-Gymnasium in Köln eine Bienen-AG betreut. Damit würden auch Wildinsekten in den Fokus gerückt. „Das hilft nicht nur didaktisch, sondern ganz real“, sagt er. In der Arbeit mit Bienen sieht er einen unmittelbaren Nutzen für andere Insekten.

Insektensterben als Unterrichtsthema aufgreifen und aktiv werden!

AGs oder Aktionen an den Schulen zeigen, wie virulent das Thema Insektensterben im Unterricht ist. Dabei sind Schulen auf unterschiedliche Weise aktiv:

  • Am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Lüdenscheid haben die Schüler*innen eine Brachfläche in eine Wildblumenwiese verwandelt. Ulrike Rohlmann war es wichtig, zertifizierte Samen zu verwenden, „damit es ein breites Nahrungsangebot gibt“. Mit der Reaktivierung eines Teichs und einem groß angelegten Insektenhotel hat die Bienen-AG neue Biotope für wildlebende Insekten geschaffen.
  • Dank eines kleinen Teichs im Schulgarten hat am Humboldt-Gymnasium in Köln die Vielfalt der Insekten zugenommen. Tim Gockel sagt, dass Insektenhotels und Wasserstellen gute Beispiele dafür sind, was im urbanen Raum möglich sei.
  • An der Löwenburgschule in Bad Honnef haben Schüler*innen der Jahrgangsstufen 3 und 4 zu Hacke, Spaten und Werkzeug gegriffen. Nach den Osterferien haben sie insektenfreundliche Beete angelegt, Blühstreifen als Futterquelle eingesät und Insektenhotels gebaut. Die Kinder transportieren das Thema nach Hause und sind Multiplikator*innen.
  • Schüler*innen des Immanuel-Kant-Gymnasiums in Dortmund haben eine Bienenweide hinter ihrem Schulzentrum angelegt. Sie soll dazu beitragen, dass Bienen und andere Insekten wieder mehr Nahrungs- und Rückzugsmöglichkeiten finden.
  • Die Sankt Antoniusschule der Caritas in Lindlar, eine Förderschule für emotionale und soziale Entwicklung, kooperiert mit dem Freilichtmuseum und betreut eine Streuobstwiese. „Wir nehmen das als Thema in dem großen Biotop auf“, sagt Lehrer Kai Dehler mit Blick auf das Insektensterben. In Biologie werden die kleinen Tiere bestimmt. Im Werken oder Garten- und Landschaftbau sind handwerkliche Fähigkeiten gefragt, wenn Nisthilfen gebaut werden oder Totholz als Lebensraum für neue Insektengenerationen erhalten bleiben soll.

Fächerübergreifendes Arbeiten mit Insekten

Für Ulrike Rohlmann steht außer Frage, dass sich die Beschäftigung mit den Insekten für die Schüler*innen lohnt. Die Förderung der biologischen Vielfalt, Nachhaltigkeit und Ehrfurcht vor der Natur sind nur einige positive Aspekte. Insekten, insbesondere Bienen, über den Medienhype des Insektensterbens hinaus zu thematisieren, ermöglicht auch fächerübergreifendes Arbeiten in Mathematik, Biologie, Chemie, Physik, Werken und Gartenbau. Für die ehemalige Mathematiklehrerin ergeben sich daraus viele fachliche Kompetenzen. Sie reichen von Primärerfahrungen durch den Einsatz aller Sinne, über das Erkennen von Stoffkreisläufen und den Erwerb von Artenkenntnis im zoologischen sowie botanischen Bereich. Hinzu kommen Kenntnisse über naturwissenschaftliches Arbeiten und Umweltkompetenz, aber auch die Entwicklung von Handlungsbereitschaft für Arten- und Naturschutz sowie Teamarbeit.

Ergebnisse werden schnell sichtbar, wenn Schüler*innen versuchen, Insekten auf die Beine zu helfen. Eine Trinkmöglichkeit im Garten zieht „Unmengen von Bienen und Insekten“ an, sagt Tim Gockel. In der Löwenburgschule haben die Kinder „Schmetterlinge beobachtet, die man sonst kaum sieht“, sagt Schulleiter Martin Wilke. Die Beschäftigung mit den kleinen Tieren führt zu großen Erfolgserlebnissen.

Insektensterben aufhalten: Was jeder tun kann

  1. Vielfalt und Unordnung im Garten zulassen: Ein englischer Rasen mag schön aussehen, fördert aber kein Leben. Käfer, Bienen und andere Nützlinge mögen viel lieber Wildblumenwiesen und Totholz. Also: Ruhig in einer Ecke des Gartens auch mal Brennnesseln wachsen lassen.
  2. Insektenhotel aufhängen: Holz oder Halme bieten Insekten Nistmöglichkeiten und Unterschlupf.
  3. Auf giftige Insektensprays verzichten: Besser als teure Chemie sind natürliche Mittel, die kleine Plagegeister wie Wespen fernhalten. Lavendel, Salbei und Zitronengras halten Stechmücken fern, sind aber ein Schmaus für Bienen und Schmetterlinge. Auch Räucherstäbchen und geschmorter Kaffeesatz helfen gegen Wespen und Fliegen.
  4. Licht ausschalten: Licht wird oft zur Todesfalle für nachtaktive Insekten. Besser: Nachts die Fassaden- und Gartenbeleuchtung ausschalten oder nur indirektes, nach unten strahlendes Licht nutzen.
  5. Alte Harke statt neuen Laubsauger verwenden: Statt Laub zusammen zu harken, kommt oft Technik zum Einsatz. Die erzeugt nicht nur Lärm, sondern auch ein Massaker an Kleintieren.