Schule 30.08.2018

Lösen zwei Säulen die Probleme in der Schulstruktur?

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Lösen zwei Säulen die Probleme in der Schulstruktur?

Zwei-Säulen-Modell ist bundesweit auf dem Vormarsch

Die komplexe Schulstruktur in NRW muss langfristig vereinfacht werden, um zukunftsfähig zu sein. Eine Lösung wäre ein Zwei-Säulen-Modell aus Gymnasium und Gemeinschaftsschule. Wie viel Potenzial steckt tatsächlich in diesem Konzept?

  • Autor*in: Prof. Dr. Kai Maaz
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Das deutsche Schulsystem war lange Zeit durch die Dreigliedrigkeit der Sekundarstufe bestehend aus Hauptschule, Realschule und Gymnasium gekennzeichnet. Diese traditionelle Dreigliedrigkeit ist heute in keinem der 16 Bundesländer mehr anzutreffen. Für die gesamtdeutsche Entwicklung ist mittlerweile ein übergreifender Trend zu einem verschlankten Sekundarschulsystem erkennbar, das neben dem Gymnasium nur im Kern noch eine Schulform vorhält, die in vielen Bundesländern den direkten Erwerb des Abiturs ermöglicht  und als Zwei-Säulen-Modell bezeichnet wird. Doch von einer einheitlichen Entwicklung in den Bundesländern kann keine Rede sein. Im Gegenteil: Die Vielzahl der unterschiedlichen Arten und Bezeichnungen der weiterführenden Schulformen in den Ländern ist kaum zu überblicken.

Gründe für das Zwei-Säulen-Modell

Die Gründe und Ziele der Entwicklung hin zu einem Zwei-Säulen-Modell sind vielfältig und auf verschiedenen Ebenen angesiedelt. Es soll eine zukunfts- und entwicklungsfähige Struktur geschaffen werden, die

  • die Leistungsfähigkeit des Schulsystems sichert und weiterentwickelt,
  • zum Abbau von sozialen Ungleichheiten beiträgt,
  • Bildungswege offener gestaltet und dabei regionale Gegebenheiten berücksichtigt.

Inwieweit die Implementierung und Weiterentwicklung eines Zwei-Säulen-Modells diese intendierten Wirkungen erzielen werden, muss sich erst noch erweisen.

Erste Forschungsbefunde für die Länder Berlin und Bremen deuten darauf hin, dass kurzfristige Auswirkungen allein aufgrund einer Strukturumstellung kaum erwartbar sind. Die grundsätzliche Akzeptanz des Zwei-Säulen-Modells – etwa bei den bei Schulleitungen und Eltern – scheint jedoch überwiegend gegeben. Das Modell trägt zu einer Vereinfachung des Schulsystems bei und kann die hohe Brisanz der Übergangsentscheidung im Anschluss an die Grundschule zu einem gewissen Teil entschärfen.

Schulstruktur ist mehr als die Anzahl der Schulformen

Die Frage der Ausgestaltung der Schulstruktur ist wichtig, da mit ihr die Rahmenbedingungen für die schulische Arbeit und das Lernen gesetzt werden. Sie darf aber nicht darauf reduziert werden, die Anzahl und Bezeichnung der verschiedenen Schulformen festzulegen, sondern muss weiter gedacht werden. In diese erweiterte Perspektive gehören unter anderem die Mechanismen des Zugangs zu den verschiedenen Bildungsangeboten, Formen der Durchlässigkeit, die organisatorische und inhaltliche Ausgestaltung der Schulen genauso wie Fragen der Lehrer*innenaus- und Fortbildung.

Eine Umstellung der Schulstruktur kann nur der erste Schritt sein. Dieser eröffnet dem Schulsystem und der Einzelschule Entwicklungsmöglichkeiten, um auf die jeweiligen Besonderheiten und Herausforderungen vor Ort flexibel zu reagieren. Die Umstellung muss flankiert werden von organisatorischen und pädagogischen Maßnahmen, die die Individualität der Schüler*innen im Unterricht und im Lernen fördern.

Zwei-Säulen-Modell hat Potenzial, ist aber kein Allheilmittel

Das Zwei-Säulen-Modell, in dem das Gymnasium und die nichtgymnasiale Schulform gleichberechtigt nebeneinanderstehen und das den Einzelschulen oftmals mehr Mitsprache bei der Rekrutierung der Schüler*innenschaft einräumt, bietet Potenzial für kreative Schulentwicklungsprozesse. Der Fokus wird verstärkt auf die Einzelschule und den Unterricht gelegt, während die meist ideologisch geführte Schulformdebatte in den Hintergrund rückt. Damit können Schulen unterschiedlicher pädagogischer Praxis mit spezifischen Schwerpunkten und Organisationsformen entstehen. Eine solche Vielfalt kann aber auch dazu führen, dass Schulen mit bestimmten Profilen zum Beispiel verstärkt von Kindern aus sozial privilegierten Familien ausgewählt werden, wodurch neue Selektionsprozesse entstehen können oder alte Strukturen latent erhalten bleiben.

Das bedeutet, dass soziale Ungleichheiten im Bildungssystem nicht allein an die Strukturfrage gebunden sind, sondern hier vielmehr die inhaltlich-organisatorische Ausgestaltung und die pädagogische Arbeit innerhalb der Strukturen in den Fokus rücken. Das Zwei-Säulen-Modell bietet vielfältige Potenziale und Ansatzpunkte für die Schulentwicklung, die jedoch an realistische Erwartungen gekoppelt sein müssen. Denn ein Allheilmittel ist auch das Zwei-Säulen-Modell nicht.

Prof. Dr. Kai Maaz, Direktor der Abteilung Struktur und Steuerung des Bildungswesens am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung