lautstark. 18.08.2020

Lehrkräfteausbildung: Mehr Verzahnung, weniger Druck

AusbildungDigitalität im UnterrichtVorbereitungsdienstZfsL – Zentrum für schulpraktische Lehrer*innenausbildungCorona

Lehrer*innen für gegenwärtige Aufgaben fit machen

Inklusion, Digitalisierung, heterogene Lerngruppen, Corona-Pandemie – nicht nur Anforderungen an Schulen verändern sich stetig, sondern auch die Herausforderungen für Lehrer*innen. Um diesen gewachsen zu sein, bedarf es einer professionellen Ausbildung der Lehrkräfte. Doch wie ist es derzeit darum bestellt in NRW?

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  • Ausgabe: lautstark. 05/2020 | Mehr Profis für gute Bildung
  • Autor*in: Denise Heidenreich
  • Funktion: freie Journalistin
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Eines haben Dr. Martin Jungwirth, Geschäftsführer des Zentrums für Lehrerbildung an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU), Ulrich Speckenwirth, Leiter des Zentrums für schulpraktische Lehrerausbildung Münster, und Frederik Stötzel, seit 2019 Gymnasiallehrer in Bochum, gemeinsam – sie alle haben die Lehrer*innenausbildung selbst erlebt. Im Hinblick auf die Kompetenzen, die in dieser Zeit erworben werden sollten, sind sich alle drei einig: Fachwissen, Fachdidaktik, Diagnostik, der Umgang mit heterogenen Lerngruppen, Lernprozesse anlegen, Beurteilungskompetenz; die Liste lässt sich weiter fortsetzen.

Zu welcher Zeit diese Fähigkeiten in der Ausbildung vermittelt werden, ist zumindest in Teilen festgelegt: „Zu Beginn des Studiums, im Bachelor, steht das Fachwissen im Mittelpunkt. Später, im Master, liegt der Fokus auf der Fachdidaktik und der Bildungswissenschaft. Basis ist das Lehrerausbildungsgesetz und die Lehramtszugangsverordnung. Doch am Ende zählt natürlich der Mensch, der in der Klasse steht – deshalb spielen soziale Kompetenzen, die in der Universität nur bedingt gelehrt werden können, eine ebenso große Rolle“, sagt Dr. Martin Jungwirth.

Diese Skills, zu denen beispielsweise Empathie, Konflikt- oder Kommunikationsfähigkeiten gehören, sind unabdingbar für professionelles Handeln. Das bestätigt Frederik Stötzel: „Empathie – am besten noch in Verbindung mit Humor, das ist etwas, was ich im Umgang mit meinen Schüler*innen zwingend brauche. Hinzu kommen Dinge wie Selbstorganisation oder effizientes Arbeiten.“ Ulrich Speckenwirth ergänzend dazu: „Ziel ist es, die angehenden Lehrkräfte so auszubilden, dass sie jederzeit handlungssicher sind und ihren Bildungs- und Erziehungsauftrag gut wahrnehmen können. Wichtig ist zudem die Bereitschaft, sich in einem schnell verändernden System orientieren zu können. Ein starres Weltbild und eine Scheu vor Weiterentwicklung steht professionellem Handeln im Weg.“

Erste und zweite Phase besser abstimmen

Neben dem Studium spielen die Bausteine Praxissemester und Vorbereitungsdienst auf dem Weg der professionellen Lehrer*innenpersönlichkeit die zentralen Rollen, denn erst in der praktischen Erfahrung werden die sozialen Fähigkeiten trainiert: „Das Praxissemester ist die Verbindung zwischen Universität und Schule“, erklärt Martin Jungwirth. „Wir bereiten die Studierenden gezielt darauf vor. Denn sie sollen sich einerseits als Lehrperson erproben, andererseits aber auch den Bezug zur Universität nicht vergessen und im Anschluss an diese praktische Phase wiederum Rückschlüsse daraus für ihr weiteres Studium ziehen. Generell sehe ich eine enge Verzahnung zwischen der ersten und der zweiten Phase als entscheidenden Faktor.“ Auch Ulrich Speckenwirth sieht es so: „Ich glaube, dass wir insbesondere das Element der Kollaboration stärken müssen, sprich, gemeinsam an der Weiterqualifizierung der Ausbildung arbeiten müssen.“ Solch intensiveren Austausch zwischen den beiden Phasen hätte sich auch Frederik Stötzel gewünscht: „Während meines Studiums hatten einige Dozent*innen keine Vorstellung davon, was Schüler*innen wirklich leisten können – es war sofort deutlich, wer schon mal unterrichtet hat und wer nicht. Zudem waren die an der Universität gelehrte Fachdidaktik und das Referendariat entweder ziemlich weit voneinander entfernt oder es wurden noch fachwissenschaftliche Themen in der Praxis wiederholt. Da wäre eine engere Abstimmung sinnvoll gewesen.“

Immer wichtiger: Digitale Kompetenzen

Wenn es um die Ausbildung junger Lehrkräfte geht, kommt – gerade auch durch die aktuelle Corona-Situation – das Handlungsfeld Digitalisierung immer wieder auf den Plan. In der Studienzeit von Frederik Stötzel spielte Digitalisierung eine untergeordnete Rolle. „Das war einfach noch kein Thema.“ Martin Jungwirth sieht es mit Blick auf die Universität Münster anders: „Bei uns laufen aktuell in fast jedem Fach verschiedene Maßnahmen: So arbeiten in Physik die Studierenden mit Druckern, mit denen Werkzeuge aus Kunststoff erstellt werden können. Auch in den Geisteswissenschaften wie zum Beispiel Anglistik machen sich Dozierende Gedanken dazu, wie sich durch digitale Elemente der Fremdsprachenerwerb vereinfachen lässt.“ Ulrich Speckenwirth bestätigt die positive Entwicklung: „In der zweiten Ausbildungsphase arbeiten wir mit dem Konzept Lehrkräfte in der digitalisierten Welt, das sich daran orientiert, wie die wichtigsten Kompetenzen übertragen werden können. Wir haben hier vor Ort eine digitale Lernumgebung geschaffen, in der mit Medien gearbeitet werden kann und auch ein Lernen auf Distanz möglich ist. Durch Corona sehen wir, dass die Entwicklung erheblich an Fahrt aufgenommen hat, es aber ein kritisches Bewusstsein dafür gibt, dass die unterschiedlichen Entwicklungsstände in den Schulen, in den Privathaushalten und in den Seminaren immer auch die Frage der Bildungsgerechtigkeit aufwirft. Darüber müssen wir uns intensiv verständigen.“

Leistungsdruck im Vorbereitungsdienst zu groß

Stress, Leistungsdruck, Bewertungsangst – auch das sind Punkte, um die es in der Ausbildung geht. Frederik Stötzel erinnert sich gut daran: „Das Referendariat ist eng getaktet. Ich hatte zum Beispiel oft das Gefühl, für meine eigene Unterrichtsplanung nicht genug Zeit zu haben. Wirklich stressig war die Terminfindung für die Unterrichtsbesuche. Da die Fachleiter*innen und Kolleg*innen ja auch noch die Praxissemesterstudierenden betreuen, war die Planung der Unterrichtsbesuche extrem schwierig. Ohne meine Kolleg*innen, die mehrfach Unterricht mit mir getauscht haben, wäre es gar nicht möglich gewesen. Hinzu kommt, dass die Abschlussprüfung für die Gesamtnote sehr ausschlaggebend ist und der Druck an diesem Tag natürlich immens auf einem lastet. Die schwierige Einstellungssituation am Gymnasium hat in meinem Jahrgang zusätzlich den Druck erhöht, mit einer möglichst guten Abschlussnote bestehen zu müssen.“

Die von Frederik Stötzel genannten Punkte sind Ulrich Speckenwirth nicht unbekannt: „Dieser Leistungsdruck und die damit verbundene Frage, ob man den Vorbereitungsdienst auch benotungsfrei stellen kann, ist so alt wie der Dienst selbst. Mit der 2011 in Kraft getretenen neuen Prüfungs- und Ausbildungsordnung haben wir schon einen großen Schritt in Richtung zeitgemäße Lehrerausbildung gemacht, die auch benotungsfreie Ausbildungsteile enthält. Es zeigt sich, dass das eine sinnvolle Änderung war, weil die Personenorientierung als eines der Standardelemente der Ausbildung sehr stark gemacht wird. Wünschenswert wäre eine Entwicklung dahin, die Unterrichtsbesuche von dem hohen Sockel, auf dem sie stehen, herunterzuholen und die einzelnen Ausbildungssituationen gleichwertiger zu behandeln. Wünschenswert wäre eine Entwicklung dahin, von der Fixierung auf Unterrichtsbesuche wegzukommen. Wir bereiten ja streng genommen nicht auf das Staatsexamen vor, sondern auf die spätere berufliche Unterrichts- und Erziehungstätigkeit. Und das gelingt nur über eine Fülle verschiedener Ausbildungssituationen.“