Eine*n Jüd*in mieten – da schlucken viele zunächst einmal. Welche Erfahrung haben Sie mit dieser Offensive bisher gemacht?
Immer wieder werden wir darauf angesprochen, dass der Titel provokant sei. Ich frage gern zurück, warum er provokant wirkt. Das unangenehme Gefühl, das viele Menschen als Reaktion auf den Namen unserer Initiative beschreiben, liegt daran, dass er unwillkürlich antisemitische Vorstellungen wachruft. Daran sehen wir: Sie sind im kollektiven Bewusstsein präsent. Das verunsichert viele Menschen, eventuell fragen sie sich „Wieso denke ich das?“ oder „Warum denken die das?“. Damit sind wir schon beim Kern unserer Arbeit.
Das unangenehme Gefühl können wir gemeinsam erkunden und die unterschiedlichen Gründe dafür. Gemeinsam können wir zum Beispiel die mögliche Assoziation von Jüd*innen und Geld oder die Assoziation von Jüd*innen als entrechtete Objekte sowie unsere Haltung dazu reflektieren. Bei Rent a Jew sind wir überzeugt: Nur indem wir offen über diese Dinge sprechen, können wir Vorurteile und Ängste abbauen.
Und was steckt konkret hinter dem Projekt rentajew.org?
Im Lehrplan ist das Thema Judentum in verschiedenen Fächern und Jahrgangsstufen eingebunden, doch viele Lehrer*innen und Schüler*innen kennen keine jüdischen Menschen persönlich. Kein Wunder bei nicht mehr als schätzungsweise 200.000 Jüd*innen in Deutschland. Das Thema bleibt daher häufig abstrakt.
2015 stellten einige jüdische Lehrer*innen und Museumspädagog*innen fest, dass sie sehr positive Erfahrungen damit gemacht hatten, nicht nur „in der dritten Person“ über jüdisches Leben im Religions- oder Geschichtsunterricht zu unterrichten, sondern sich selbst als jüdisch zu „outen“. Um diese Möglichkeit bundesweit zu schaffen und zu verstetigen, haben wir mit Unterstützung der Europäischen Janusz Korczak Akademie e.V. das Projekt Rent a Jew ins Leben gerufen. Wir sind jüdische Menschen mit unterschiedlichsten beruflichen und privaten Hintergründen, religiös, säkular oder irgendwas dazwischen. Wir vertreten keine offizielle Institution, sondern sprechen persönlich über unser Judentum, die Shoah und unseren Alltag.
Unsere aktiven Mitglieder treffen sich regelmäßig zum Erfahrungsaustausch und zu Fortbildungen. Auf unserer Webseite können sich interessierte Lehrer*innen per E-Mail melden und wir vermitteln nach Möglichkeit zeitnah und regional einen Kontakt für einen Schulbesuch.
Warum ist Begegnung von Jüd*innen und Nicht-Jüd*innen aus Ihrer Sicht ein wirksames Mittel gegen Antisemitismus?
Eine authentische Begegnung ermöglicht Annäherung, Verständnis und Empathie. Uns ist wichtig, dass während eines Gesprächs alles, was den Schüler*innen durch den Kopf geht, einen Raum bekommt. Alles darf ausgesprochen werden, jede Frage ist erlaubt. Wenn ich mich als Referentin und Jüdin durch eine Frage verletzt fühle, dann erkläre ich das und gehe zugleich respektvoll auf die oder den Fragestellenden ein. Das ist nicht immer leicht, aber dafür werden unsere Referent*innen ausgebildet.
Wir begegnen uns als ganz normale Menschen mit Gemeinsamkeiten und Unterschieden – und gehen aus der Begegnung gestärkt hervor. Wir sind überzeugt davon, dass dies die gesellschaftliche Basis ist, auf der wir andere in ihrer Andersartigkeit wertschätzen können.
Welche Erfahrungen haben Ihre Referent*innen bei Besuchen in Schulklassen gemacht? Gab es auch schon einmal Anfeindungen?
Schulbesuche sind auch für die Referent*innen eine bereichernde Erfahrung. Überwiegend ist die Gesprächsatmosphäre positiv geprägt von gegenseitigem Interesse und Neugier. Schüler*innen nehmen das Angebot zum persönlichen Dialog erfahrungsgemäß gern an. Schwierige Fragen und Herausforderungen gibt es bisweilen. Aber wer bei uns mitmacht, kann das aushalten.
Ein typisches Vorurteil wäre zum Beispiel, dass alle Jüd*innen reich sind. Ich bin froh, wenn das angesprochen wird. Dann können wir gemeinsam überlegen: Woher kommt diese Vorstellung? Was löst sie in den Schüler*innen aus? Was löst sie in mir aus? Und natürlich kläre ich auf, dass es nicht der Wahrheit entspricht. Wenn wir es schaffen, darüber zu sprechen, leisten wir gemeinsam einen wichtigen Schritt, um damit zusammenhängende Ängste, Wut und Unsicherheiten zu überwinden und zu einem friedlichen und toleranten Miteinander zu finden.
Welche Tipps würden Sie Lehrkräften geben, um das Thema im Unterricht zu behandeln?
Immer wieder sagen mir Lehrer*innen, dass sie sich selbst nicht ausreichend sicher im Themengebiet fühlen, um Judentum, Judenverfolgung und Israel zu unterrichten. Auch sollte man den emotionalen Anteil, der diese Themen sowohl für Lehrer*innen als auch für Schüler*innen zu sensiblen Themen macht, nicht unterschätzen. Das sollte man berücksichtigen und diese Themen nicht nur rational auf der Sachebene lehren.
Achten Sie dabei auf sich und Ihre persönlichen Grenzen – und holen Sie sich Unterstützung: Zum Beispiel, indem sie ein museumspädagogisches Angebot in Ihrer Region nutzen oder eine*n Referent*in von Rent a Jew zu sich einladen.