lautstark. 19.09.2019

Copingstrategien in der Schule: Stress lass nach!

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Wie Pädagog*innen mit Belastung umgehen

Arbeitsbelastung ist für die Personalrät*innen der GEW NRW ein zentrales Thema. Wir haben Pädagog*innen und einen Experten gefragt, wie sich der unter anderem durch Lehrkräftemangel, Inklusion und Digitalisierung oft stressige Schulalltag bewältigen lässt.

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  • Ausgabe: lautstark. 01/2019 | Auf geht's: Neuanfang!
  • Autor*in: Nadine Emmerich
  • Funktion: freie Journalistin
Min.

Ein Schüler kommt bekifft in den Unterricht, ein anderer wurde am Vorabend vom Vater verdroschen, von einem weiteren wird Sonderschullehrer Philipp Einfalt gebissen. „Aus dieser explosiven Stimmung muss man dann eine entspannte Wohlfühlatmosphäre machen – da sind wir noch gar nicht beim Unterricht“, beschreibt der Pädagoge eine typische Stresssituation im Job. Er unterrichtet schwer erziehbare und teils lernbehinderte Jugendliche an der Krefelder Erich-Kästner-Schule mit dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung. „Die psychische Belastung ist da oft sehr groß.“ Körperlich setzt dann „das Ziehen im Bauchraum“ ein.

Individueller Ausgleich und ein gutes Schulklima 

Philipp Einfalt, der auch Personalrat für den Bereich Förderschule bei der Bezirksregierung Düsseldorf und dafür ab diesem Schuljahr komplett freigestellt ist, kennt die Alarmzeichen und hat damit umzugehen gelernt: Zweimal pro Woche geht der 47-Jährige zum Kickboxen, er joggt und legt auch zu Hause kurze Trainingseinheiten ein. „30 Liegestütze, dann geht es mir besser.“ Er nimmt so wenig Arbeit wie möglich mit nach Hause. Am Wochenende oder im Urlaub bleiben Smartphone und Laptop oft aus. Und wenn mit der Ehefrau gekocht und gegessen wird, ist der Job kein Thema. „Das geht nicht anders, sonst brennt man aus.“   

Ausgleich findet er auch in der Gewerkschaftsarbeit: Philipp Einfalt ist Vorstandsvorsitzender der GEW Krefeld und Leiter der dortigen Fachgruppe Sonderpädagogik sowie DGB-Stadtverbandsvorsitzender. Diese Ämter schrauben sein wöchentliches Pensum zwar weiter in die Höhe, bringen ihn aber mit völlig anderen Menschen, Tätigkeiten und Sorgen zusammen. „Das holt mich aus meinem Tagesstress heraus und bringt mich auf andere Gedanken.“

Der Sonderpädagoge bewertet auch das soziale Klima an der Schule als wichtig, um Stress gut auszuhalten – eine gute Teamstruktur, ein Vertrauensverhältnis im Kollegium, eine Leitung, die auch mal klare Anweisungen geben kann. Solche Bedingungen würden jedoch seltener: „Viele Schulen bekamen mehrere Standorte und wurden immer größer, teils arbeiten dort riesige Teams.“ Die Entwicklung gehe vom familiären Miteinander hin zum anonymisierten Lehr- und Lernbetrieb. Philipp Einfalt wünscht sich mehr konkrete Beratungsangebote. Um sich kurzfristig selbst zu schützen, empfiehlt er, intensiv zu hinterfragen: Was brauche ich zur Entlastung, was kann ich selbst aktiv tun? „Von außen gerettet wird man nicht.“

„Ich kann nicht die ganze Welt retten.“

Das weiß auch Marion Vittinghoff, Schulsozialarbeiterin an der Katholischen Hauptschule Neuwerk in Mönchengladbach und Bezirkspersonalrätin für die Hauptschulen. „Wenn es in der Schule stressig wird, hilft es mir oft schon, kurz innezuhalten, durchzuatmen und etwas Abstand zu gewinnen“, sagt sie. Anstrengend sei es, wenn etwas Unvorhergesehenes passiere. „Der klassische Notfall ist zum Beispiel: Es ist Freitagmittag, ein Schüler will nicht mehr nach Hause.“ Die zuständige Mitarbeiterin beim Jugendamt hat Feierabend, es folgen intensive Gespräche, manchmal langes Warten auf den Bereitschaftsdienst – und wütende Eltern, sollte das Kind in Obhut genommen werden. Marion Vittinghoff zwingt sich dann, zu sagen: „Ich tue, was ich kann, und das muss nun reichen, ich kann nicht die ganze Welt retten.“

Schulsozialarbeiter*innen müssen sich ihr zufolge um immer mehr Kinder und Jugendliche kümmern, fast in jeder Klasse hat die Mehrzahl der Schüler*innen Bedarf. Oft ist sie auf der Suche nach einem geeigneten Ort für Gruppengespräche, es ist laut, es gibt zu wenig Platz. Respektloses Verhalten von Schüler*innen, aber auch Eltern nimmt zu. „Da muss man mittlerweile schon ein dickes Fell haben.“

Weil viele Bedingungen an der Schule nicht so einfach zu ändern seien, besinnt sich Marion Vittinghoff auf das, was ihr wichtig ist und gut läuft: Familie und Freunde, Hobbys und Ausflüge in die Natur. Zudem nimmt sie regelmäßig professionelle Supervision in Anspruch, obwohl sie das selbst zahlen muss. Schon als sie vor 16 Jahren an ihrer Schule anfing, engagierte sie sich für eine Vernetzung mit Sozialarbeiter*innen anderer Schulen. So entstand ein Arbeitskreis aus aktuell 14 Pädagog*innen, die sich alle vier bis sechs Wochen treffen, Fallbesprechungen durchführen und Gäste zu unterschiedlichen Themen einladen. „Wir unterstützen uns gegenseitig.“ 

Viel Arbeit positiv sehen

Sonderpädagogin Melanie Schneider geht mit Belastungen, die mit ihrer Arbeit verbunden sind, pragmatisch um: Dass einige Schüler*innen im Umgang schwierig seien, sei ihr Job. „Ich sehe kurz die Probleme, suche dann aber schnell nach Lösungen.“ Sie dreht das, was andere Stress nennen, ins Positive: „Ich habe viel Abwechslung und viele Herausforderungen, die mir Freude bereiten“, sagt die Sonderschullehrerin an der Mönchengladbacher Geschwister-Scholl-Realschule, die auch in der Berufspraxisstufe der Förderschule Hermann-van-Veen-Schule tätig ist. Sie räumt jedoch ein: „Ich habe nicht den Stressfaktor der Regelschullehrkräfte, die für alles und alle zuständig sind.“

Kommt Melanie Schneider doch mal ins Rotieren, hat das eher mit der Kombination von Job und Familie zu tun. Geht es beruflich turbulenter zu, weil etwa viele Gutachten im Sinne der Ausbildungsordnung Sonderpädagogische Förderung (AO-SF) geschrieben werden müssen, zu Hause aber eines ihrer Kinder krank ist und die Handwerker*innen anrücken, wird es auch der 46-Jährigen zu viel. „Dann besuche ich zum Beispiel weniger außerunterrichtliche Veranstaltungen und nehme mal nicht an jeder Besprechung teil.“

 

Soziales Umfeld und soziales Klima

Das Stresslevel in pädagogischen Berufen sei zwar nicht höher, aber das Verantwortlichsein insbesondere für Kinder, könne in höherem Maße emotional belasten, sagt Uwe Schaarschmidt, Psychologieprofessor im Ruhestand und Gründer des Instituts COPING – Psychologische Diagnostik und Personalentwicklung in Wien. „Man kann nicht einfach abschalten. Sorgen und Probleme in Bezug auf einzelne Schüler*innen wirken nach.“ Damit das nicht kritisch bis krankhaft wird, „Schule nur noch als Horror erlebt wird und alle Seiten des Lebens beeinflusst“, sind für den Experten zwei Faktoren wichtig: eine gute Arbeitsorganisation und Arbeitsplatzgestaltung sowie soziale Unterstützung an der Schule.

Mit Blick auf die Arbeitsbedingungen heißt das: „Nicht nur von Stunde zu Stunde hetzen, ohne Phasen der Entspannung, und sich dann zu Hause weiter mit schulischen Dingen herumschlagen.“ Uwe Schaarschmidt plädiert für Lehrer*innenarbeitsplätze in der Schule, vergleichbar mit den Büros von Mitarbeiter*innen an Universitäten, wo sich diese zur Vor- und Nachbereitung, aber auch zur Regeneration zurückziehen könnten. „Wenn sie nach Hause gehen, ist der Großteil der Arbeit geschafft und damit eine bessere Trennung von Schule und Privatem möglich.“

Der entscheidende entlastende Faktor ist für den Experten jedoch ein gutes soziales Klima, von den Schüler*innen über das Kollegium und die Schulleitung bis zu den Eltern. Das sei zwar eine kollektive Aufgabe, an vorderster Stelle aber die der Schulleitung. „Das Einzelkämpferdasein ist immer noch ein Problem für viele Lehrer*innen“, sagt er und fordert einen stärkeren Austausch. „Kollegiale Fallberatung oder auch kollegiale Hospitation mit Feedback müssten an Schulen zur Institution werden.“ Gegenseitige Unterstützung sei etwas, das sofort beginnen könne – „und kein Geld kostet“.