Gesellschaft 24.03.2022

Chance für ein neues Gesetz gegen Diskriminierung

AntidiskriminierungAntirassismusQueer und DiversityMigration und Flucht

Online-Diskussion zu Diskriminierungsschutz in der Schule

Unbewusste und bewusste Beleidigung, Diskriminierung und Ausgrenzung durch Schüler*innen und Lehrkräfte gehören zum Alltag in Schulen: Welche Parteien setzen sich vor der Landtagswahl für ein neues Antidiskriminierungsgesetz ein? Dazu diskutierten unter anderem die schulpolitischen Sprecher*innen der Landtagsfraktionen unter anderem mit der AG Queer und dem Landesausschuss Antidiskriminierung der GEW NRW in einem Onlinegespräch.

  • Autor*in: Birgit Morgenrath
  • Funktion: freie Journalistin
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Malaika wird innerlich sehr wütend, wenn sie als „Schokolädchen“ gehänselt wird; Leonie ist sehr verletzt, wenn Mitschüler*innen sie immer noch Lukas rufen, obwohl sie doch jetzt endlich Leonie ist; Fâtima fühlt sich missachtet, wenn sie wegen ihres Kopftuchs aufgezogen wird; und ihr Bruder Abdullah in der 12. Klasse wird trotz all seiner Bemühungen „dazuzugehören“ als „Terrorist“ beschimpft; die fleißige Jasmin aus dem „sozialen Brennpunkt“ ist beschämt und entmutigt, wenn sie oft schlechtere Noten als ihre Mitschülerin Sophia erhält; und Max im Rollstuhl ist tieftraurig, wenn seine Mitschüler*innen an ihm vorbeistürmen und keiner an ihn denkt.

Sie alle fühlen sich ausgeschlossen, sind oft bedrückt und beim Lernen gestresst. 

Betroffene Schüler*innen haben keine rechtliche Handhabe – das muss sich ändern!

Schulen sind Teile der Gesellschaft und wie diese sind sie keine heilen Orte. Unbewusste und bewusste Beleidigung, Diskriminierung und Ausgrenzung durch Schüler*innen und Lehrkräfte sind keine Seltenheit. Das zeigte unter anderem die Repräsentativbefragung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2016: 23,7 Prozent aller Befragten hatten in den vergangenen zwei Jahren Diskriminierungen im Bildungsbereich erlebt.

Schüler*innen und auch Lehrer*innen müssen Rassismus, Homo- oder Transfeindlichkeit, Sexismus, Antisemitismus und Behindertenfeindlichkeit erleiden. Derzeit haben betroffene Schüler*innen keine rechtliche Handhabe, um sich dagegen zu wehren. Denn das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz von 2006 ist nicht zuständig für die Benachteiligung von Schüler*innen. Es gilt nur für das Arbeitsleben und sogenannte Alltagsgeschäfte wie einen Restaurantbesuch oder den Abschluss einer Versicherung.

Deshalb haben am 14. März 2022 die Antidiskriminierungsstellen in NRW SABRA und BANDAS zusammen mit der Landesschüler*innenvertretung NRW, Schule der Vielfalt sowie der GEW NRW AG Queer und dem Landesausschuss Antidiskriminierung zu einem Onlinegespräch mit den schulpolitischen Sprecher*innen der Landtagsfraktionen eingeladen. 

GRÜNE und SPD sprechen sich für ein Landesantidiskriminierungsgesetz aus

Schulen sind Ländersache und lediglich das Bundesland Berlin bietet seit Juni 2020 mit dem Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) und einer Ombudsstelle bei der Justizverwaltung ein wirksames Instrument gegen Diskriminierungen in Landesbehörden wie etwa der Polizei, in Schulen, Kindergärten, Hochschulen, und Bibliotheken. 

Nun setzt sich auch in Nordrhein-Westfalen knapp zwei Monate vor der Landtagswahl BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein LADG ein. Dabei müsste Diskriminierungsschutz auch im Schulgesetz verankert werden, ergänzt die schulpolitische Sprecherin der Partei Sigrid Beer bei der Onlinediskussion. Die SPD signalisiert Zustimmung. Das Gesetz würde wie in Berlin vorsehen, die Beweisführung für erlittenes Unrecht vor Gericht zu erleichtern und Schadensersatz zu fordern.

Wie können ein LADG und eine Ombudsstelle Betroffene schützen und unterstützen?

Eine Ombudsstelle des Landes kann Betroffene beraten, in Streitfällen vermitteln und Gutachten einholen. Die Behörden müssen der Stelle Auskunft geben. 

Auch könnten Verbände klagen und Beratungsstellen müssten gehört werden. In jedem Fall würde ein Gesetz durch seine Rechtssicherheit Geschädigte in einer Auseinandersetzung erheblich stärken. 

FDP und CDU wollen „Schule der Vielfalt“ und andere Konzepte ausbauen

Zwar sind auch die anderen demokratischen Parteien des Landtags für Diskriminierungsschutz in Schulen, nicht aber durch ein Gesetz. CDU und FDP wollen bestehende Konzepte ausbauen. Etwa mit mehr als den bereits bestehenden 52 „Schulen der Vielfalt“ und mit mehr Schulbesuchsprojekten wie zum Beispiel „Schlau NRW“, vor allem auch „in der Fläche“, nicht nur in Großstädten fordert etwa Jörn Freynick von der FDP.

Oliver Kehrl, CDU, verweist auf die Änderungen im Schulgesetz von Ende 2021: Alle Schulen in NRW seien dadurch verpflichtet ein Schutzkonzept gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch zu erarbeiten, dem die Schulkonferenz zustimmen muss. Schüler*innen sollen daran mitarbeiten. Überdies gebe es ausreichende Expertise für dieses Problem in den Schulen selbst; der Staat müsse nicht alles vorschreiben.

Dem hält Jochen Ott, schulpolitischer Sprecher der NRWSPD, entgegen, dass 8.000 Stellen für Lehrer*innen nicht besetzt sind. Wenn man alle neuen Aufgaben bei den Lehrer*innen ablade, „wird es irgendwann dazu führen, dass die Lehrkräfte hinschmeißen und sagen: ‚Wir machen das nicht mehr mit.‘ Deshalb, glaube ich, muss der Staat, wenn er weitere Aufgaben an die Schulen gibt, diese auch mit der nötigen Ressource ausstatten“.

Bleibt abzuwarten, welche Parteien am 15. Mai 2022 die Mehrheit im Landtag in NRW erringen. Bislang ist das Rennen völlig offen.