Gesellschaft 15.11.2021

Berufsverbote: aufarbeiten und entschädigen!

Ausstellung der GEW NRW im Düsseldorfer Landtag vom 23. November bis 3. Dezember 2021

Mit ihrer Ausstellung „Berufsverbote. Aufarbeiten und Entschädigen“ sendet die GEW NRW eine deutliche politische Botschaft: Das Land muss das durch den Radikalenerlass entstandene Unrecht aufklären!

  • Autor*in: Ayla Çelik
  • Funktion: Vorsitzende der GEW NRW
Min.

Mit dem Radikalenerlass wurden ab Anfang der 1970er Jahre Millionen Bewerber*innen für den öffentlichen Dienst überprüft und Berufsverbote ausgesprochen. Daran erinnert die GEW NRW im Düsseldorfer Landtag ab dem 23. November 2021. Der Bildungsgewerkschaft geht es mit ihrer Ausstellung „Berufsverbote. Aufarbeiten und Entschädigen“ nicht nur um die Erinnerung an eine historische Epoche oder die Beantwortung der Frage, was sie für die heutige Zeit bedeutet, sondern vor allem um eine klare politische Botschaft: Die Berufsverbote waren eine unrechtmäßige Praxis und müssen als diese behandelt werden. Die Betroffenen dürfen vom NRW-Landtag erwarten, dass eine Arbeitsgruppe das Unrecht aufarbeitet. 

50 Jahre Radikalenerlass: trauriges Jubiläum im Januar 2022

Vor fast 50 Jahre, nämlich am 28. Januar 1972, fassten die Ministerpräsident*innen der Länder den sogenannten Radikalenerlass, der heute nur als umfassendes demokratisches und politisches Versagen bezeichnet werden kann. Mit dem Beschlusses wurden mehrere Millionen Bewerber*innen für Berufe im öffentlichen Dienst genau wie Dienstinhaber*innen überprüft. Es sollte festgestellt werden, ob sie nicht doch im tiefsten Inneren „Verfassungsfeinde“ seien. Grundlage dafür waren die Einschätzungen des Verfassungsschutzes, des deutschen Inlandgeheimdienstes.  Nach den Einschätzungen wurden Personen aus dem öffentlichen Dienst entfernt und Bewerber*innen nicht berücksichtigt.

In der historischen Konstellation zwischen Kapitalismus und sozialistischer Planwirtschaft, Kaltem Krieg und dem Terror der Roten Armee Fraktion wurden politisch Engagierte in Sippenhaft genommen: Personen, die als politisch links eingeschätzt wurden, bekamen den Stempel „Verfassungsfeind“. Dass der Beschluss nicht auf dem Boden demokratischer Grundprinzipien getroffen und in die Praxis umgesetzt wurde, ist als Versagen der Politik und der damals jungen deutschen Demokratie zu bewerten. 

Berufsverbote als Zeichen politischer Unfähigkeit

Etwa 11.000 Verfahren wurden auf Grundlage des Radikalenerlasses von 1972 bundesweit durchgeführt. Dabei waren vor allem Mitglieder linksgerichteter Parteien oder Studierendenverbände, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BDA), Gewerkschafter*innen und Engagierte in der Friedensbewegung betroffen. Es hatte System, dass vorrangig Personen aus einem linken Umfeld überprüft wurden. Mitglieder rechter Gruppierungen wurden in den meisten Fällen im öffentlichen Dienst geduldet. Fest steht, dass die noch junge Bundesrepublik es an dieser Stelle nicht schaffte, ihren antifaschistischen Charakter des Grundgesetzes hochzuhalten und die Gesellschaft zu entnazifizieren, sondern stattdessen politisch Linke aus den öffentlichen Institutionen zu verdrängen suchte.

Folgen für Betroffene der Berufsverbote bis heute

Die Biografien der Betroffenen sind vielfältig: einige haben den Weg in den öffentlichen Dienst noch gefunden und wurden sogar verbeamtet. Manche haben andere Anstellungen gefunden. Andere mussten sich allerdings mit prekären Jobs über Wasser halten. Deshalb fehlt ihnen heute ein signifikanter Teil ihrer staatlichen Rente. Auch das zeigt die Aktualität der Berufsverbote bis heute.

Neben den finanziellen Folgen bleibt für die meisten Betroffenen allerdings das Versagen der Demokratie in Erinnerung und das Vorgehen des Staates gegen politisch engagierte Menschen: Der Generalverdacht, unter den sie gestellt wurden, hat ihre Sichtweise auf Politik und politische Prozesse stark beeinflusst – die Erfahrung, dass auf die Politik in der Demokratie nicht immer Verlass ist, spielt für sie bis heute eine Rolle. Über die Betroffenen hinaus hatte die Praxis der Berufsverbote einen enormen negativen Effekt und trieb einen Keil zwischen Gesellschaft und Staat.

Auch die Bildungsgewerkschaft GEW trägt Verantwortung

Es soll an dieser Stelle nicht übergangen werden, dass auch die GEW im Kontext der Berufsverbote eine unrühmliche Rolle gespielt hat. Die GEW ist nicht geschlossen gegen das Unrecht vorgegangen und hat sich nicht mit Betroffenen solidarisiert. Es gab Unvereinbarkeitsbeschlüsse und Denunziationen: Vielen wurde kein Rechtsschutz gewährt und bis 1977 wurden wegen der Unvereinbarkeitsbeschlüsse 204 Mitglieder aus der GEW ausgeschlossen.

Es muss deutlich gesagt werden, dass die GEW sich damals nicht solidarisch gegenüber den Betroffenen verhalten hat. Die Verfolgung von Kolleg*innen nach dem Radikalenerlass in den 1970er-Jahren ist bis heute auch ein Makel in der Geschichte der GEW. Obgleich Worte der Entschuldigung nicht ausreichen, um die Existenzängste, Ausgrenzung und Altersarmut wieder gutzumachen, bitte ich um Verzeihung dafür, dass die GEW seinerzeit nicht geschlossen gegen das Unrecht vorgegangen ist.

Ausstellung „Berufsverbote. Aufarbeiten und entschädigen“

Aus der eigenen Verantwortung heraus zeigt die GEW NRW in Zusammenarbeit mit dem Düsseldorfer Landtag eine Ausstellung zu den Berufsverboten und lädt zur Eröffnung am 23. November 2021 ein: Feierlich eröffnet wird die Ausstellung in der Wandelhalle des Düsseldorfer Landtags von Landtagsvizepräsidentin Carina Gödecke. Herta Däubler-Gmelin hält den zentralen Fachvortrag zu den Berufsverboten. Die ehemaligen Bundesjustizministerin wird dabei einen rechtlichen Blick auf die unrechtmäßige Praxis werfen. Die GEW NRW hofft darauf, dass der Landtag die Ausstellung zum Anlass nimmt, über eine Entschuldigung, eine Aufarbeitung der Geschichte und eine Entschädigung für die Betroffenen nachzudenken und eigene Initiativen zu ergreifen.