lautstark. 26.09.2023

Belastungsprobe Referendariat

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So geht es den Lehrkräften im Vorbereitungsdienst

Fehlende Ressourcen, Zeitnot, Leistungsdruck: Viele angehende Lehrkräfte erleben das Referendariat als körperliche und psychische Belastungsprobe. Laut einer Studie entwickelt knapp jede*r Dritte in dieser Phase Burnout-Symptome oder andere psychische Probleme. Einige ziehen deshalb in Erwägung, dem System Schule gleich wieder den Rücken zu kehren.

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  • Ausgabe: lautstar. 05/2023 | Belastungen reduzieren: Weil zu viel zu viel ist
  • Autor*in: Anne Petersohn
  • Funktion: freie Journalistin
Min.

14 Stunden Unterricht und ein Seminartag pro Woche: Was nach einem überschaubaren Pensum klingt, ist in Wahrheit ein Alltag ohne Verschnaufpausen. „60 bis 70 Arbeitsstunden pro Woche sind keine Seltenheit – da ist es kaum möglich, einen sozialen Ausgleich zu schaffen“, sagt Bati. Der 30-Jährige hat erst vor wenigen Wochen in Essen sein Examen in den Fächern Englisch und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen abgelegt – und denkt mit äußerst gemischten Gefühlen an sein Referendariat zurück.

Referendar*innen stehen unter hohem Zeit- und Leistungsdruck

„Der Leistungsdruck ist auf hohem Niveau – er macht einem permanent zu schaffen“, sagt Bati, der sich auch im Leitungsteam des Referats Bildungspolitik und Wissenschaft der GEW NRW engagiert. Die hohen Anforderungen führten bei vielen Referendar*innen zu Depressionen und Burnout – wohl auch, weil „sehr gute“ Leistungen als selbstverständlich vorausgesetzt würden. „Wenn du dann fachlich ‚nur‘ befriedigend abschneidest, gerätst du automatisch noch mehr unter Beobachtung. Andere Kompetenzen – etwa eine gute Beziehungsarbeit – treten in den Hintergrund.“

Für den 30-Jährigen brachte ein Schulwechsel zumindest eine angenehmere Arbeitsatmosphäre. Doch die allgemeinen Rahmenbedingungen des Referendariats blieben. Ein wesentlicher Belastungsfaktor sei dabei die aufwendige organisatorische Arbeit: „Wenn man Ferien und Examenszeit rausrechnet, bleibt uns ungefähr ein Jahr für zehn Unterrichtsbesuche. Das zu organisieren und Zeitpunkte zu finden, an denen es für alle Beteiligten passt, ist enormer Stress.“ Hinzu komme der hohe zeitliche Aufwand, um zwischen Wohnort, Seminar, der eigenen Ausbildungsschule und weiteren Schulen hin- und herzupendeln. „Gerade mit öffentlichen Verkehrsmitteln, die viele von uns nutzen müssen, geht eine Menge Zeit drauf.“

Auch Julia, angehende Grundschullehrerin, kennt den extremen Zeit- und Leistungsdruck im Referendariat. „Zwei Unterrichtsbesuche innerhalb von zwei Wochen sind keine Seltenheit – und das neben all den anderen Verpflichtungen im Schulalltag, die wir als Referendar*innen ganz selbstverständlich erfüllen sollen“, erzählt die 27-Jährige. Sie habe das Glück, von einem engagierten Kollegium bestmöglich ausgebildet zu werden. „Trotzdem weiß ich, dass meine Kolleg*innen später auch ein Gutachten über mich schreiben werden. Da sagt man natürlich schneller zu, wenn es darum geht, sich auch noch am Wochenende zu engagieren.“ Angesichts des Lehrkräftemangels müsse man zudem damit rechnen, jederzeit für den Vertretungsunterricht eingeplant zu werden – entweder zusätzlich zum vorgesehenen Stundenpensum oder auf Kosten der Ausbildungsstunden.

Der Leistungsdruck ist auf hohem Niveau – er macht einem permanent zu schaffen.

Studie zeigt Burnout-Symptome bei Referendar*innen

Gestützt werden die subjektiven Einschätzungen beispielsweise von einer Studie der Universität Magdeburg, die im August 2021 in der Zeitschrift „Prävention und Gesundheitsförderung“ erschienen ist. Wissenschaftler*innen aus dem Bereich Arbeitsmedizin befragten dazu 131 Referendar*innen zu ihrer psychischen Gesundheit. Das Ergebnis ist eindeutig. So machte die Analyse bei 31 Prozent der Befragten Burnout-Symptome oder eine Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit aus, insbesondere in der Qualifizierungsphase des Referendariats.

Dabei hätten selbst die guten beruflichen Perspektiven im Grundschulbereich wenig Einfluss auf die empfundene Belastung, berichtet Julia. Dort erwarte junge Lehrkräfte, anders als etwa an Gymnasien, ein „sicherer Job“. Der Anspruch, mit einer guten Note abzuschneiden, schwinge trotzdem immer mit. „Schon beim zweiten Unterrichtsbesuch werden wir bewertet – und das nach denselben Standards, die auch am Ende der Ausbildung, also im Examen, gelten. Das ist total frustrierend und baut nur noch mehr Druck auf.“ Doch auch in die Rolle der Gegenseite zu schlüpfen und Schüler*innen Noten geben zu müssen, bringe psychischen Stress mit sich. „Ich weiß, dass jede Form der Bewertung in den Kindern etwas auslöst. Und gerade in Fächern wie Religion kann eine Note oft nur unzureichend wiedergeben, wo die individuellen Stärken liegen.“

Diese Einschätzung teilt Björn Dexheimer, Fachleiter für Geschichte am Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung in Mönchengladbach und Bezirkspersonalrat. „Wir schreiben immer noch Klassenarbeiten wie vor Jahrzehnten und ignorieren dabei alle neueren didaktischen und pädagogischen Entwicklungen“, warnt er. Gerade für Referendar*innen bringe diese Situation erhebliche Schwierigkeiten mit sich – ebenso wie die starren Vorgaben bei Unterrichtsbesuchen. „Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst stehen unter enormem Leistungs- und Organisationsdruck“, fasst deshalb auch Björn Dexheimer zusammen. Ein großes Hindernis stelle die vielerorts schlechte technische Ausstattung dar. So sei der Unterricht mit digitalen Medien, wie ihn das Curriculum vorsehe, nicht an allen Schulen in gleichem Maße möglich. „Das führt zu Problemen bei der Bewertung und ist ein erheblicher Belastungsfaktor.“

Sinkende Zahlen bei Lehrkräften im Vorbereitungsdienst sowie bei Fachleiter*innen

Björn Dexheimer hat in jüngster Zeit beobachtet, dass die Zahl der Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst zurückgeht – nicht zuletzt wegen der unattraktiven Rahmenbedingungen. Das bedeute zwar in vielen Fällen, dass Referendar*innen ihre Ausbildung am Wunschort absolvieren könnten und – anders als noch vor einigen Jahren – nur selten einen Umzug in Kauf nehmen müssten. Gleichzeitig spitze sich aber die Situation an Schulen immer weiter zu – was auch den Alltag für angehende Lehrkräfte und Fachleiter*innen zunehmend belastend mache.

„Die Mehrarbeit, die wir als Fachleiter*innen leisten, wird an keiner Stelle kompensiert – weder zeitlich noch finanziell. Dadurch wird diese Tätigkeit zunehmend unattraktiv“, erzählt Björn Dexheimer. Gleichzeitig fehlten Lehrkräfte, die sich in der Ausbildung engagieren, im Unterrichtsgeschehen. „Das führt gerade in Zeiten des Lehrkräftemangels zu vielen Verwerfungen an den Schulen und ist ein Kreislauf, der einen kleinen Nagel in den Sarg schlägt.“

Umstrukturierung des Referendariats dringend notwendig

Aus Sicht von Björn Dexheimer muss der Vorbereitungsdienst grundlegend umstrukturiert werden, damit der Beruf für Lehrkräfte attraktiv bleiben kann. „Was wir brauchen, ist eine extreme Ressourcenerhöhung in allen Bereichen: mehr Geld, mehr Zeit, mehr Möglichkeiten“, betont der Leiter des Referats Aus-, Fort- und Weiterbildung der GEW NRW. Auch eine Ausweitung des Referendariats auf 24 Monate, wie früher üblich, müsse diskutiert werden.

Für Julia spielt darüber hinaus die Frage nach einer angemessenen Bezahlung eine Rolle. „Wir bekommen nicht mal Mindestlohn – da muss sich dringend etwas verändern“, sagt die 27-Jährige. Auch eine Bewertung nach Prüfungsrichtlinien, die an den jeweiligen Ausbildungsstand der Referendar*innen angepasst sind, ist ihr wichtig. Und nicht zuletzt sollten die starren Vorgaben für Unterrichtsbesuche gelockert werden. „Es müsste doch möglich sein, auch eine Lehrprobe weniger abzulegen, wenn etwa eine Krankheit dazwischenkommt. Das würde extrem dazu beitragen, den Druck rauszunehmen.“

Auch Bati hat eine lange Liste an Reformwünschen für das Referendariat: „Weniger Prüfungen, eine bessere Bezahlung und weniger Druck von Schulleitungen“, zählt der 30-Jährige auf. Darüber hinaus sollte aus seiner Sicht ein Leitfaden für ausbildende Lehrkräfte eingeführt werden. Denn bei Bati haben die schlechten Erfahrungen dazu geführt, dass er seine Zukunft nicht mehr zwangsläufig an einer Schule sieht. „Ich arbeite sehr gerne mit Gruppen und habe weiterhin Spaß daran. Doch ich habe auch die schlechten Arbeitsbedingungen an Schulen erlebt und mitbekommen, dass viele Lehrkräfte nicht sonderlich glücklich sind.“ Er ziehe deshalb in Erwägung, seinen Master-Abschluss in europäischer Politik und Wirtschaft zu nutzen und sich in einem neuen Feld zu etablieren: „Die kommenden Wochen werden zeigen, wie mein beruflicher Weg weitergeht.“

Das fordert die GEW NRW

Das muss sich für Referendar*innen ändern

Da der Nachwuchs eine wichtige Stellschraube in der Behebung des Lehrkräftemangels ist, fordert die GEW NRW in ihrem aktuellen Positionspapier „Bekämpfung des Lehrkräftemangels durch eine echte Lehrkräfteoffensive“ Folgendes:

Die Zuteilung von Lehramtsanwärter*innen (LAA) an Standorte sollte den Lebensrealitäten der Menschen in einem deutlich stärkeren Rahmen gerecht werden. Gleichzeitig müssen die Regionen, die unterversorgt sind, durch stärkere Steuerung in den Blick genommen werden. Jedoch gilt es, die individuellen Belange im Einzelfall zu berücksichtigen. Bevor Menschen das Referendariat nicht antreten, sollten Alternativen gefunden werden.

Bessere Koordination vom Übergang Hochschule in den Vorbereitungsdienst: Nach dem Auslaufen der alten Staatsexamensstudiengänge auch in den Abschlüssen ist eine Anpassung der Daten des Vorbereitungsdienstes an die Kalender der Masterstudiengänge überfällig (und in anderen Bundesländern bereits erfolgt). Aktuell stehen die Studierenden vor dem Problem, entweder eine gehetzte Masterarbeit mehrere Wochen zu früh einzureichen oder ein halbes Jahr zwischen Masterabschluss und Beginn des Vorbereitungsdienstes überbrücken zu müssen. Es gibt keinen legitimen Grund mehr für diese Strukturen. Als Denkansatz wäre auch eine Übergangsfinanzierung für Absolvent*innen mit dem Ziel des Vorbereitungsdienstes möglich.