lautstark. 12.12.2023

Aufgaben einer zeitgemäßen Friedenspädagogik

AntirassismusAntidiskriminierungFriedenspolitik

Orientierung geben und Empathie fördern

In Zeiten von Gewalt und Krieg brauchen Kinder und Jugendliche im besonderen Maße Orientierungshilfen, die Empathie und Solidarität fördern. Die Friedenspädagogik bietet konkrete Ansätze und Unterstützung für Schulen.

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  • Ausgabe: lautstark. 06/2023 | Gegen autoritäre Haltungen: Mehr Miteinander
  • Autor*in: Prof. Uli Jäger
  • Funktion: Senior Advisor für Friedenspädagogik und Globales Lernen, Berghof Foundation
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„Gut versorgt im sicheren Deutschland, sollte jedem das Mitgefühl für die Opfer gleich welcher Seite möglich sein.“ Der vom deutsch-iranischen Schriftsteller Navid Kermani jüngst in seinem Artikel Das Schweigen vor dem ABER in der Wochenzeitung Die Zeit erhobene Anspruch an die Zivilgesellschaft kann auch als eine Aufforderung an Erziehung und Bildung verstanden werden.

In Zeiten von Unsicherheit, Gewalt und Krieg besteht die Gefahr, dass sich Ohnmachtsgefühle und Gleichgültigkeit ausbreiten. Pädagogik kann und muss Orientierungshilfen geben, Räume für gemeinsames Nachdenken schaffen, qualifizieren und inspirieren, damit Mitgefühl, Empathie und die Bereitschaft zu Solidarität und Engagement für alle von Krieg betroffenen Menschen wachsen können.

Welche Aufgaben hat die Friedenspädagogik?

Friedenspädagogik im Speziellen kann dazu einen Beitrag leisten. Ihr grundsätzlicher Ansatz besteht darin, Frieden als Leitwert und Handlungsorientierung im Alltag zu festigen. Frieden wird als Prozess abnehmender Gewalt und wachsender Gerechtigkeit verstanden, der nachhaltig und vorteilhaft für Menschen, Gesellschaften und auch Staaten sein soll. Frieden ist vielfältig, und über die Wege dorthin kann und muss konstruktiv gestritten werden. Dabei spielt Friedensbildung in der Schule eine besondere Rolle. Der Bedarf ist groß, weil die Kriege in der Welt immer mehr auch in den Schulen und Klassenzimmern sicht- und spürbar werden und zu Konflikten führen.

Aktuell lassen sich eine Reihe von besonders relevanten Ansatzpunkten für Friedensbildung benennen. So geht es an erster Stelle um Festigung und Ausbau einer Konflikt- und Dialogkultur. Dazu gehört die Vertiefung langjähriger Erfahrungen mit Streitschlichtung, mit Konflikttransformation und mit Methoden der gewaltfreien Kommunikation. Die Förderung von Empathie mit Menschen im Krieg, auf der Flucht und am Zufluchtsort ist ein weiterer Aspekt. Vor dem Hintergrund der Komplexität unserer Welt rückt die Ambiguitätstoleranz als Friedensfähigkeit mit in den Vordergrund. Junge Menschen müssen beim konstruktiven Umgang mit Vieldeutigkeit, Unsicherheit, Widersprüchlichkeit unterstützt werden.

In Krisenzeiten geht es aber auch darum, Selbstfürsorge zu üben, um sich vor Überforderung und Ohnmacht zu schützen. Im Sinne offener Lernprozesse stellt Friedensbildung an der Schule Lernmedien zur Verfügung, damit durch Sachwissen eine eigene Meinungsbildung bezüglich sicherheits- und friedenspolitischer Entwicklungen und Entscheidungen möglich wird. Dazu gehört, eine kritische Informationsbeschaffung über Kriege und Konflikte zu fördern und den Umgang mit Analysetools zur Konfliktanalyse zu üben. Schließlich unterstützt digitale Friedenspädagogik junge Menschen beim Umgang mit Desinformation, Hassreden und Verschwörungstheorien.

Wie sieht eine friedenspädagogische Praxis aus?

Die Berghof Foundation ist beispielsweise ein Akteur in der friedenspädagogischen Szene und entwickelt im Rahmen einschlägiger Projekte zeitgemäße Methoden. Sie bietet zum Beispiel im Rahmen der Projekte #vrschwrng. Ein interaktives Toolkit gegen Verschwörungstheorien und Digitale.Wahrheiten interaktive Workshops zu Verschwörungstheorien und Falschinformationen für Jugendliche, Eltern und Lehrkräfte an.

Das Format Peace Days@School ist in Zusammenarbeit mit Rotary International entstanden, damit an interessierten Schulen Projekttage mit friedenspädagogischen Workshops durchgeführt werden können. In Baden-Württemberg ist die Friedensbildung beispielsweise mit der 2015 eingerichteten Servicestelle Friedensbildung strukturell verankert.

Die Einrichtung wird von der Landeszentrale für politische Bildung, dem Kultusministerium und der Berghof Foundation getragen und berät Lehrkräfte, erarbeitet Lernmedien und führt Fortbildungsveranstaltungen oder Schulprojekte durch. Grundlage für die Einrichtung der Servicestelle war eine gemeinsame Erklärung zur Stärkung der Friedensbildung, die auch von der GEW unterzeichnet wurde. In Niedersachsen wiederum wurde die Infrastruktur der Friedensbildung in Deutschland im Jahr 2021 durch die Gründung der Koordinierungsstelle Friedensbildung um eine weitere Facette bereichert – weitere Ländereinrichtungen sollten folgen.

Was braucht eine erfolgreiche Friedensbildung?

Eine nachhaltig erfolgreiche Friedensbildung an Schulen bedarf der verstärkten systematischen Verankerung in der Lehrkräfteaus- und -fortbildung sowie in den Lehrplänen. Da häufig die Ressourcen fehlen, in Schulen Friedensbildung umzusetzen, sollten gerade in Krisenzeiten die Fördermöglichkeiten für die Durchführung von Projekten verbessert werden. Das sollte für das Land NRW höchste Priorität haben.