Lehrerrat 05.03.2020

Perspektiven der schulischen Gewaltprävention

AntidiskriminierungSchulsozialarbeit

Tagung der GEW NRW diskutiert über Gewalt an Schulen

Auf dem Lehrerrätekongress 2020 steht das Thema Gewalt an Schulen im Fokus. Thomas Gödde von der Landesstelle Schulpsychologie stellt im Vorfeld präventive Maßnahmen gegen Mobbing vor.

  • Autor*in: Thomas Gödde
  • Funktion: Landesstelle Schulpsychologie und Schulpsychologisches Krisenmanagement
Min.

Gewalt an Schulen hat viele Facetten: sexualisierte Gewalt, Gewalt gegen Lehrkräfte, Gewalt durch Radikalisierung, Mobbing oder auch Amok. Ein gängiger Reflex ist, diese Phänomene isoliert anzugehen und spezifische Interventions- und Präventionslösungen zu fordern. Natürlich gibt es Spezifika, die bei Intervention und Prävention zu berücksichtigen sind. Täter*innenstrategien bei sexueller Gewalt oder die Gründe für die systematische Unterschätzung von Mobbing sind solche Beispiele. Wie spezifisch die Kenntnisse der Schulen sein sollten, hängt von verschiedenen Faktoren ab:

  • Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein solches Phänomen/das Gewalt an unserer Schule auftritt?
  • Wie weit ist die Chronifizierung des Problems fortgeschritten?

Es gilt: Je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine bestimmte Gewaltform auftritt und je fortgeschrittener die Chronifizierung, desto weniger sinnvoll ist es, spezielles Wissen in Schulen vorzuhalten. In solchen Fällen ist es wichtig, das externe Unterstützungsnetzwerk gut zu kennen.

Prävention durch Förderung grundlegender Kompetenzen

Sinnvoller ist es, sich innerhalb der Schule auf die häufig vorkommenden Gewaltphänomene zu konzentrieren und unspezifische primäre Prävention zu etablieren. Was wir dabei brauchen sind nicht Vermeidungs-, sondern Annäherungsziele. Ein Beispiel: Ein Rückenschmerzpatient möchte gern weniger Schmerzen haben (Vermeidungsziel). Sinnvoll ist es, mit ihm zu erarbeiten, was er dafür tun kann, etwa mehr Kompetenzen im Umgang mit Stressoren, mehr körperliche Bewegung, Stärkung der Rückenmuskulatur, Erhöhung der Entspannungsfähigkeit (Annäherungsziel). Es lohnt sich daher zu schauen, welche Kompetenzen gefördert werden müssen, um Gewalt zu reduzieren und gleichzeitig die Schüler*innen fit zu machen für die privaten, beruflichen und gesellschaftlichen Herausforderungen.

Mobbing tritt immer auf, wenn keine Prävention stattfindet

Mobbing ist ein Beispiel dafür, wie Prävention mit der Förderung von Kompetenzen verzahnt werden kann. Mobbing ist die am weitesten verbreitete Gewaltform an Schulen. Mobbing tritt in Zwangsgemeinschaften wie Schule immer dann auf, wenn keine Prävention stattfindet. Wer keine Prävention betreibt, kann sich sicher sein, dass Mobbing im Hintergrund gedeiht. In deutschen Schulen ist mit einer Prävalenzrate von 8 bis 14 Prozent betroffenen Schüler*innen zu rechnen. Das ist deutlich mehr, als etwa beim Problem Extremismus. Da Mobbing erst sichtbar wird, wenn es bereits chronifiziert ist, wird spät interveniert und selten Prävention aktiv gestaltet. Gleichzeitig ist Mobbing ein gutes Beispiel dafür, dass spezifische Prävention hochwirksam ist. Mit guter Präventionsarbeit lassen sich die Mobbingraten an einer Schule zuverlässig senken. Eine gute Schule ist also die, die regelmäßig präventiv arbeitet.

Zivilcourage als Kompetenz – Baustein der Mobbingprävention

Mobbingforschung arbeitet zunehmend daran, Präventionsmethoden zu entwickeln, die kompetenzorientiert sind. Waren früher Täter*innen und Opfer im Fokus, ist es heute die Macht der schweigenden Mehrheit. Die Förderung von Zivilcourage ist dabei nicht nur ein effizienter Baustein in der Mobbingprävention. Zivilcourage und soziale Kompetenz sind der Schlüssel für erfolgreiche Bildungsbiographien. Denn Bildung wird dann besonders wirksam, wenn sie von hoher sozialer Kompetenz begleitet wird.

Bündelung von Ressourcen ist notwendig

Wir brauchen eine neue Philosophie der Gewaltprävention: Weg von Vermeidungszielen, der Verzettelung und Verschwendung von Ressourcen, hin zu Bündelung von Ressourcen mit breiter Wirksamkeit, Annäherungszielen sowie Kompetenzorientierung. Die klassischen Themen wie Beziehung, Kommunikation, soziale Kompetenz sind dabei kein Widerspruch zur Leistungsorientierung – im Gegenteil. Nur wenn wir fachlich gut ausgebildete und gleichzeitig sozial kompetente junge Erwachsenen aus den Schulen entlassen, wird ein Bildungsland wie Deutschland den Herausforderungen des Wettbewerbs in einer globalisierten Welt in Zukunft begegnen können.