Neuigkeiten 11.02.2020

Radikalenerlass & Berufsverbotepraxis

Aufarbeitung der Geschichte in NRW

Die Berufsverbotepraxis der Bundesrepublik verstößt laut Europäischem Gerichtshof gegen die Europäische Konvention für Grund- und Menschenrechte. Dennoch hat eine Rehabilitation der damals Abgelehnten bis heute nicht stattgefunden und ist vor allem in NRW überfällig.

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Aufgrund des „Radikalenerlasses“, unter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) 1972 von der Innenministerkonferenz beschlossen, wurden etwa 3,5 Millionen Bewerber*innen in Deutschland auf ihre politische Gesinnung überprüft. Betroffen waren vor allem Lehrer*innen, aber auch Postbeamt*innen oder Lokführer im öffentlichen Dienst. Wer nach Ansicht des Staates gegen die „freiheitlich- demokratische Grundordnung“ verstieß, konnte entlassen oder vom Dienst ausgeschlossen werden. Es gab 1250 Ablehnungen von Bewerbungen und 265 Entlassungen - alle aus dem linken Spektrum.

250 Besucher*innen - Thema fand großen Widerhall

Der GEW Wuppertal ist es gemeinsam mit der GEW NRW gelungen mit der Ausstellung „Vergessene Geschichte“, die an das Schicksal vom „Radikalenerlass“ betroffener Menschen erinnert, zwei hochkarätige politische Veranstaltungen zu organisieren. Mit jeweils weit über hundert Besucher*innen fand ungewöhnlich großen Widerhall. Die Ausstellung wurde im Barmer Rathaus eröffnet, mit dem Oberbürgermeister, der GEW Landesvorsitzenden Maike Finnern und einem Wuppertaler Urgestein, der Straßenband „Fortschrott“, die für die richtige Stimmung sorgte und „alte Zeiten“ auferstehen ließ.
Die zweite Veranstaltung fand in der Citykirche statt, diesmal mit Politikern der FDP, SPD, den Grünen (CDU wegen Fraktionsklausur verhindert), Maike Finnern und der – trotz Sturm- und Zugchaos - aus Baden-Württemberg angereisten ehemaligen SPD Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin. Selbstverständlich waren auch vier in Wuppertal von Berufsverboten betroffene Kolleg*innen anwesend, deren Geschichte auch in der Ausstellung dargestellt wird.
Maike Finnern stellte klar, dass auch die GEW damals nicht gemeinsam und entschieden gegen das Unrecht gekämpft hat. Im Gegenteil. Es hat in den 70er Jahren Unvereinbarkeitsbeschlüsse und Denunziationen gegeben, die dazu führten, dass bis 1977 immerhin 204 Mitglieder „wegen Verstoßes gegen die Unvereinbarkeitsbeschlüsse“ aus der GEW ausgeschlossen wurden und die Landesverbände gespalten waren. Die betroffenen Gewerkschaftsmitglieder sind von ihrer Gewerkschaft oftmals im Stich gelassen worden. Der Rechtsschutz war den Ausgeschlossenen verwehrt, Klage dadurch oft nicht finanzierbar. Wenn man rückblickend sieht, wie vielen es dann doch noch gelungen ist, sich in den öffentlichen Dienst einzuklagen, ist das umso schlimmer.

Rehabilitation der Betroffenen

2012 begann die GEW damit ihre unrühmliche Rolle in bundesweiten Konferenzen aufzuarbeiten und der GEW Hauptvorstand entschuldigte sich offiziell für sein Verhalten. Genau hier verortet sich auch die Veranstaltung in der Citykirche. Es geht darum, die Landesregierung zu einer Aufarbeitung des staatlich organisierten Unrechts zu bewegen, verbunden mit einer Rehabilitation der Betroffenen, wie bereits in Bremen geschehen und in Niedersachsen in Angriff genommen.
Die drei Landtagsabgeordneten Sven Wolf (SPD), Matthi Bolte-Richter (Grüne) und Marcel Hafke (FDP) zeigten sich durchaus bereit hier in Form eines gemeinsamen Antrags an den Landtag aktiv zu werden. Die Frage der Entschädigung sehen sie indes komplizierter, wie immer, wenn es um Geld für die Wiedergutmachung von Unrecht geht.
Frau Däubler-Gmelin stärkte ihnen allerdings den Rücken mit der Bemerkung, dass es doch wohl nicht so schwer sein dürfte mal eben irgendwo eine Million für einen Entschädigungsfond oder eine Stiftung aufzutreiben. Sehr klar und prägnant ordnete sie nochmal den Radikalenerlass historisch ein und definierte den Unrechtscharakter dieses Erlasses, der anstelle einer individuellen Prüfung eine ganze Gruppe von Menschen unter Generalverdacht stellte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe dies schon 1995 deutlich so festgestellt.