Hochschule 08.11.2017

Kultur- und Mentalitätswechsel: Jetzt erst Recht!

Wissenschaft und ForschungFriedenspolitik
Kultur- und Mentalitätswechsel: Jetzt erst Recht!

Hochschule im Dienste einer friedlichen Gesellschaft

Senta Pineau ist studentische Senatorin im Senat der Universität Köln und Mitgründerin des Arbeitskreises Zivilklausel. Dieser kämpft seit Jahren für eine friedliche, nachhaltige und demokratische Universität und konnte 2015 erfolgreich eine Zivil- beziehungsweise Friedensklausel in die Grundordnung der Hochschule einbringen.

  • Interview: Roma Hering
  • Funktion: freie Journalistin
Min.

Die neue Landesregierung in NRW möchte die Zivilklausel wieder abschaffen. Um was geht es bei diesem Konflikt?

Die neue schwarz-gelbe Landesregierung in NRW hat als zwei der ersten Maßnahmen direkt nach Regierungsbildung angekündigt, erstens, die Zivilklausel aus dem Hochschulgesetz zu streichen und zweitens, Studiengebühren für Nicht-EU Studierende einzuführen. In den letzten Jahren haben die Zivilklauselbewegungen in NRW und bundesweit viele Durchbrüche erzielt. Daran merken wir, dass die in den Hochschulen wachsenden Ansprüche, zu einem zivilen und friedlichen Lauf der Welt beizutragen, vor allem der Rüstungsindustrie Schwierigkeiten bereiten.

Schon 2014 beschwerten sich Vertreter*innen der Rüstungsindustrie auf der Konferenz für „Angewandte Forschung zu Verteidigung und Sicherheit“ darüber, dass ihnen der Erfolg der Zivilklauselbewegung die Arbeit erschwere. Im August 2017 veröffentlichte der Bundesverband der deutschen Industrie das Papier „Für eine moderne Sicherheitspolitik: Handlungsempfehlung der deutschen Industrie“, indem es heißt: „Die sogenannte Zivilklausel an Universitäten widerspricht der Freiheit der Lehre und der unternehmerischen Praxis.“ Doch genau diese unternehmerische Praxis, macht mit dem Tod von Menschen Geschäfte und die Rüstungsindustrie bringt sich gemeinsam mit CDU und FDP dafür in Stellung.

Wie können Hochschulen sich stärker nach außen hin positionieren und die Wichtigkeit der Friedensarbeit verdeutlichen?

Die Streichung der Zivilklausel und die Einführung der Studiengebühren für Nicht-EU-Studierende muss entschieden zurückgewiesen werden, denn sie schaden einer allgemeinwohlorientierten Wissenschaft und einem friedlichen Zusammenleben. Es ist wichtig, aus den Hochschulen, den Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft heraus verstärkt dafür zu wirken, dass die Universitäten in NRW ihren gesellschaftlichen Auftrag wahrnehmen können. Dafür ist es notwendig, die Abhängigkeit der Hochschulen von befristeten Drittmittelprojekten zu beenden und stattdessen eine unbefristete, öffentliche Finanzierung auszubauen.

Welche konkreten Maßnahmen haben sie als Aktivist*innen ergriffen?

Wissenschafts- und Hochschulpolitik ist Gesellschaftspolitik. Dieser Gedanke steht hinter der Idee, dass Hochschulen sich dem Frieden verpflichten. Ein wesentlicher Teil unserer Arbeit war die jahrelange Aufklärungsarbeit durch die Verteilung von Flugblättern und die aktive Mitwirkung in den Hochschulgremien für die Einführung einer Zivilklausel in die Grundordnung. Seit eineinhalb Jahren spielt auch die Solidarität mit den „Akademiker*innen für den Frieden“ für unsere Arbeit eine wichtige Rolle.

Zurzeit beschäftigen wir uns intensiver mit der Frage, welche Verantwortung Wissenschaft fachspezifisch hat, denn jeder Fachbereich kann zur Humanisierung der Welt beitragen. Innerhalb des Seminars Physik und Ethik werden erneut Fragen der Technikfolgenabschätzung sowie Abrüstung und Abschaffung von Atomwaffen diskutiert und reflektiert.

Welche Ziele verfolgen Sie für die Zukunft?

Es gibt viele Wissenschaftler*innen, die schon jetzt dafür wirken, dass im Sinne der Friedensarbeit Kriegsursachen, Ursachen von Umweltzerstörung oder Rechtsextremismus erforscht werden. Wir müssen diese Kräfte bündeln, denn bis jetzt treten sie größtenteils vereinzelt in Erscheinung. Es wäre denkbar, jedes Semester ein Vorlesungsverzeichnis zu veröffentlichen, um Veranstaltungen zusammenzufassen, die sich den Fragen des friedlichen Allgemeinwohls widmen.

In den letzten Jahren, besonders unter dem Kabinett des ehemaligen NRW-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers, wurden diese Fragen sehr wenig thematisiert. Stattdessen sollten die Hochschulen mit Exzellenz-Initiativen zum Standortwettbewerb beitragen. Bei der jetzigen Konfliktlage geht es darum, verschüttgegangene Ansprüche neu aufleben zu lassen und einen Kultur- und Mentalitätswechsel in den Hochschulen herbeizuführen – und zwar im Bewusstsein eines existierenden gesellschaftlichen Konfliktes. Jetzt erst Recht!