Gewerkschaft 11.12.2017

Anja Weber ist neue Vorsitzende des DGB NRW

BetriebsratArbeits- und Gesundheitsschutz
Anja Weber ist neue Vorsitzende des DGB NRW

„In jedem Konflikt liegt die Chance, dass es am Ende besser ist“

Bei der 21. Ordentlichen Bezirkskonferenz des DGB NRW am 8. und 9. Dezember 2017 wurde Anja Weber mit starker Mehrheit zur neuen Vorsitzenden gewählt. Sie folgt auf Andreas Meyer-Lauber. Im Interview stellen wir die NGG-Gewerkschafterin vor.

  • Interview: Sherin Krüger
  • Funktion: Redakteurin im NDS Verlag
Min.

Du bist frisch gewählte Vorsitzende des DGB NRW: Was planst du für die ersten Wochen deiner Amtszeit?

Die Hauptaufgabe des DGB ist es, die Interessen der Arbeitnehmer*innen gegenüber der Landesregierung zu vertreten. Aktuell gibt es einiges zu tun: Es liegen zwei sogenannte Entfesselungsgesetze auf dem Tisch, mit denen unter anderem der Sonntagsschutz im Einzelhandel aufgeweicht werden soll. Da kommen mit Sicherheit Konflikte auf uns zu.

Zudem stehen an vielen Orten in NRW, nicht nur bei thyssenkrupp und bei Siemens, tausende Menschen ohnmächtig vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes. Sie brauchen ein deutliches Signal, dass wir sie nicht allein lassen und mit aller Kraft unterstützen. Und natürlich gilt es, zuzuhören. Ich werde Gespräche mit unseren Gewerkschaften, mit den Parteien, Fraktionen und Ministerien und anderen Institutionen wie Kirchen und Sozialverbänden führen und ausloten, was gemeinsam angepackt werden kann.

Welche Ziele möchtest du in den kommenden Jahren verfolgen? Welche neuen Impulse möchtest du setzen?

Die Digitalisierung wird zu gewaltigen Veränderungen in der Arbeits- und in der Lebenswelt führen. Als Gewerkschaften haben wir die Aufgabe, diesen Prozess so zu gestalten, dass die Beschäftigten mitgenommen werden. Dazu müssen wir uns um mehrere Themen kümmern.

Erstens um die Arbeitszeitgestaltung: Die Beschäftigten sollten – dort wo es möglich ist –  selbstbestimmter über ihre Arbeitszeit entscheiden können und gleichzeitig vor einer Entgrenzung der Arbeit geschützt werden. Zweitens müssen wir allen Beschäftigten ermöglichen, sich ständig weiterzubilden und so mit der Digitalisierung Schritt zu halten. Und drittens brauchen wir mehr Mitbestimmung im Betrieb. Inhaltlich stehen wir vor der großen Aufgabe, die Digitalisierung zum Nutzen der Menschen zu gestalten. Nicht die Maschinen dürfen die Menschen bestimmen, umgekehrt wird ein Schuh draus.

Und welche bereits angestoßenen Prozesse von deinem Vorgänger Andreas Meyer-Lauber wirst du intensiv vorantreiben?

Mit den Initiativen Arbeit 4.0 und NRW2020 hat der DGB NRW deutlich gemacht, dass er die Arbeitswelt der Zukunft aktiv gestalten will. Daran möchte ich anknüpfen. Nordrhein-Westfalen muss ein starkes Industrieland bleiben, gleichzeitig gilt es, im Dienstleistungsbereich gute Arbeitsbedingungen durchsetzen. Beim öffentlichen Dienst hat sich zum Glück die Erkenntnis durchgesetzt, dass wir nicht weniger, sondern mehr Beschäftigte brauchen, damit unser Gemeinwesen funktionieren kann. Auch daran gilt es immer wieder zu erinnern und die Beschäftigungsbedingungen zu verbessern. Und ich glaube, dass der DGB gemeinsam mit den Einzelgewerkschaften eine gute Arbeit im Hochschulbereich entwickelt hat, die wir fortsetzen sollten.

Und noch etwas ist mir wichtig: Andreas Meyer-Lauber hat gemeinsam mit der alten Landesregierung einen sozialen Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose angestoßen. Dieses Projekt müssen wir dringend ausweiten und auch den Schwächeren in unserer Gesellschaft eine Perspektive bieten.

Mit dem Amtswechsel geht auch ein Generationenwechsel einher. Wie wirst du Gewerkschaft fit für die Zukunft machen?

Die größte Herausforderung wird sein, mehr junge Mitglieder zu gewinnen. Das müssen alle Gewerkschaften gemeinsam anpacken. Dazu müssen wir auf moderne Inhalte wie die Arbeitszeitgestaltung setzen, aber auch auf neue Formen der Mitarbeit in einer Gewerkschaft. Ideen sind zum Beispiel Aktivitäten auf Zeit und mehr Projektarbeit mit ehrenamtlichen Kolleg*innen.

Außerdem möchte ich noch stärker auf neue Medien setzen, um unsere Themen zu kommunizieren und in den Austausch mit Mitgliedern und Interessierten zutreten. Ich komme aus der Genussgewerkschaft, deshalb sage ich: Gewerkschaftsarbeit muss Spaß machen!

Du warst schon Ende der 1980er Jahre Betriebsrätin, später Referatsleiterin und Landesbezirkssekretärin bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG): Welche Erfahrungen aus deiner gewerkschaftlichen Tätigkeit wirst du als neue Vorsitzende des DGB NRW besonders in deine Arbeit einbringen können?

Meine Erfahrungen sind sehr vielfältig. Ich habe mit Auszubildenden gearbeitet und Berufsschularbeit gemacht, ich habe das Backgewerbe betreut in einer Zeit, als sich erstmals betriebsübergreifende Strukturen herausbildeten – also Gesamtbetriebsräte und Konzernbetriebsräte gegründet wurden. Und ich habe vor Jahren eine Kampagne angesichts des massiven Union Bashing bei McDonalds initiiert.

Eine Erfahrung zieht sich immer durch: Gewerkschaftliche Arbeit basiert auf der aktiven Unterstützung von Kolleg*innen in den Betrieben. Wir können nur erfolgreich sein, wenn wir die Menschen überzeugen können, bei uns einzutreten. Gewerkschaftliche Arbeit braucht betriebliche und – wenn es um politische Ziele geht – gesellschaftliche Mehrheiten. Unsere Themen und unsere Ansprache müssen so gestaltet sein, dass wie alle Arbeitnehmer*innen für uns gewinnen können.

Zuletzt warst du als Landesschlichterin im Arbeitsministerium NRW tätig. Was kannst du aus dieser Funktion für die neuen Herausforderungen ziehen?

Als Landesschlichterin habe ich oft erfahren, dass gute Lösungen möglich sind, die alle Beteiligten mitnehmen und niemanden vor den Kopf stoßen. Das setzt gegenseitigen Respekt auch bei unterschiedlichen Meinungen voraus und vor allem die Bereitschaft, das Anliegen der jeweils anderen Seite zu reflektieren. Gute Verhandlungsergebnisse erzielt man, wenn man sich auch mal den Hut der anderen Seite aufsetzt.

Ungelöste Konflikte ziehen enorme Folgekosten nach sich, wenn sie immer wieder neu aufflammen, da wird viel Zeit- und Geld verbrannt. Deshalb werbe ich für eine  konstruktive Konfliktkultur, in der der Konflikt als positive Herausforderung angenommen wird. In jedem Konflikt liegt die Chance, dass es am Ende besser ist als vorher. Deshalb sind auch Betriebe mit Betriebsrat produktiver als ohne.