lautstark. 16.02.2024

Digitale Arbeitswelt: Auf diese Kompetenzen kommt es an

MedienkompetenzDigitalität im UnterrichtWeiterbildungDigitale Ausstattung

Auswirkungen der Digitalisierung auf Beruf und Schule

Welche Veränderungen bringt die Digitalisierung der Arbeitswelt mit sich? Wie werden Schüler*innen für die neuen technologischen Anforderungen fit gemacht? Und welche Voraussetzungen müssen an Schulen gegeben sein, um Schüler*innen die notwendigen Kompetenzen zu vermitteln? Soziologe Martin Krzywdzinski gibt einen Überblick.

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  • Ausgabe: lautstark. 01/2024 | Zukunft der Bildung und Arbeit: Gute Aussichten?
  • Autor*in: Martin Krzywdzinski
  • Funktion: Soziologe
Min.

Die Arbeitswelt ist in Bewegung – das gilt heute mehr denn je. Ein wichtiger Treiber ist der technologische Wandel, der von neuen Arbeitsinhalten und Qualifikationsanforderungen begleitet wird. Weitere Treiber sind der demografischen Wandel, die Migration und die steigende Frauenerwerbsarbeit, die das Arbeitsangebot verändern. Wichtig sind auch Veränderungen im Verhältnis zwischen Erwerbsarbeit und nichterwerbsförmigen Formen der Arbeit, wie etwa der Sorgearbeit oder dem ehrenamtlichen Engagement, die in der jüngsten Stellungnahme zur "Zukunft der Arbeit" der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina vom Januar 2024 diskutiert wurden.

Die Folgen des technologischen Wandels sind sehr komplex und wirken sich auf unterschiedlichste Weise auf die Arbeitswelt aus. Die beiden großen Trends sind die Digitalisierung und die Defossilisierung der Wirtschaft. Der erstere meint die zunehmende Durchdringung der Arbeitswelt durch digitale Technologien, der letztere den Ausstieg aus fossilen Energiequellen.

Im Zentrum der öffentlichen Diskussion rund um die Digitalisierung der Arbeitswelt stehen immer wieder Ängste vor Automatisierung und Beschäftigungsverlusten. Auch in der aktuellen Debatte über Fortschritte in der Künstlichen Intelligenz wird immer wieder der Eindruck erweckt, bald würden ganze Berufsgruppen nicht mehr benötigt werden. Die Forschung ist in diesem Punkt allerdings vorsichtiger. Empirische Analysen zeigen in den vergangenen Jahren keine besonders hohe Dynamik der Automatisierung. In vielen Fällen führt die Digitalisierung eher zu einem Aufwuchs von Beschäftigung, da nun zunehmend Fachkräfte in IT-bezogenen Berufen benötigt werden. Aber auch viele Arbeitsplätze im Bereich der Produktion und der Logistik zeigen sich resilient gegenüber Automatisierungsgefahren.

Wandel der Arbeitsinhalte und Qualifikationsanforderungen

Die zentrale Auswirkung der Digitalisierung ist weniger das Verschwinden von Berufsgruppen als vielmehr ein Wandel der Arbeitsinhalte und Qualifikationsanforderungen. Dies kann an einigen kurzen Beispielen illustriert werden. Untersuchungen der Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeit von Anwält*innen zeigen, dass grundlegende Analysen von Rechtsdokumenten sowie die Recherche von Rechtsquellen, Präzedenzfällen und anderen Informationen zunehmend automatisiert unterstützt werden. Die Beschäftigten müssen aber in der Lage bleiben, die Möglichkeiten und Grenzen der genutzten Systeme einzuschätzen. Zudem bleiben die auch in der Vergangenheit arbeitszeitintensiven Aufgaben erhalten: die Entwicklung von Strategien, die Beratung von Kund*innen und die Vertretung vor Gericht. Ein anderes Beispiel ist die Buchhaltung. Hier werden zunehmend Tätigkeiten im Bereich der Datenrecherche, Datenprüfung und Datenvalidierung automatisiert. Buchhalter*innen wühlen sich immer weniger durch Berge von Dokumenten, müssen aber die digitalen Tools einsetzen können. Zudem werden Aufgaben bei der Interpretation der Audits, der Kommunikation und der Verhandlung mit Kund*innen immer wichtiger.

Veränderung der Organisation der Arbeit hat zwei Seiten

Neben den Arbeitsinhalten und Qualifikationen verändert sich auch die Organisation der Arbeit. Digitale Technologien machen die Arbeit örtlich mobiler. Die seit der Covid-19-Pandemie deutlich gestiegene Nutzung des Homeoffice wird sich nicht mehr zurückdrehen lassen. Das Arbeiten zu Hause bietet eine stärkere Selbstbestimmung sowie eine höhere Flexibilität, die Arbeitsaufgaben mit persönlichen und familiären Aufgaben zu vereinbaren. Zugleich zeigen Studien, dass durch das Homeoffice neue Belastungen entstehen. Die Beschäftigten bewegen sich weniger, mit potenziell negativen Auswirkungen auf die Gesundheit. Die Schattenseite der stärkeren Selbstbestimmung und Flexibilität ist die Entgrenzung, das heißt das Aufweichen der zeitlichen und örtlichen Grenzen zwischen der Erwerbsarbeit und der Freizeit beziehungsweise anderen Formen der Arbeit, wie etwa Sorgetätigkeiten. Digitale Technologien machen es möglich, mehrere Aktivitäten oder Prozesse parallel zu betreuen. Das hat Effizienzvorteile, kann aber zu Überlastung und Stress führen.

Wichtig ist, wie die „Digitalisierungsdividenden“, also die Vorteile der Digitalisierung zwischen Beschäftigten und Unternehmen, aufgeteilt werden. Kann die höhere Effizienz der digitalen Arbeit genutzt werden, um längere Pausen zu nehmen, um die Arbeitszeit zu verkürzen? Oder wird sie vor allem genutzt, um die Zielvorgaben für die Beschäftigten zu steigern? Die Verteilung der „Digitalisierungsdividenden“ ist eine wichtige Aufgabe für Betriebsräte und Gewerkschaften, die allerdings mit dem Problem konfrontiert sind, dass die Zunahme der mobilen Arbeit die soziale Bindungskraft des Betriebs etwas schwächt und zugleich die Erfassung der Arbeitszeiten, Belastungen und Bedarfe der Beschäftigten erschwert. Betriebs- und Personalräte stehen vor der Herausforderung, die Beschäftigten zu erreichen.

Pflichtfach Informatik genauso wichtig wie das Erlernen kommunikativer und sozialer Fähigkeiten

Wie kann das Bildungssystem die jungen Menschen auf diesen Wandel der Arbeitswelt vorbereiten? Ganz grundsätzlich erscheint eine stärkere Vermittlung von Informatikwissen bis hin zur Einführung eines Pflichtfachs Informatik in der Schule wichtig. Die zunehmende Bedeutung digitaler Technologien in allen Gesellschaftsbereichen macht eine „Digital Literacy“ notwendig. Darüber hinaus erscheint es auch sinnvoll, Grundlagen im Bereich Datenanalytik in der Schule zu stärken. Quer über sehr unterschiedliche Berufsfelder nimmt die Bedeutung von Daten und computergestützten Systemen der Datenanalyse erheblich zu. Für die Aufrechterhaltung einer kritischen Handlungsfähigkeit ist es wichtig, zu verstehen, wie solche Systeme funktionieren.

Wie die oben angeführten kurzen Beispiele zeigen, beschränkt sich die Veränderung von Arbeitsinhalten und Qualifikationsanforderungen durch die Digitalisierung bei Weitem nicht auf technisches Wissen. Gerade durch die Digitalisierung nimmt der Bedarf an sozialen und kommunikativen Fähigkeiten stark zu.

Darüber hinaus wirft die Digitalisierung grundlegende Fragen im Hinblick auf individuelle und kollektive Selbstbestimmung auf, auf die die Schüler* innen vorbereitet werden sollten. Digitale Arbeit wird in Zukunft eine stärkere Selbstständigkeit im Hinblick auf Zeitmanagement von den Beschäftigten erfordern. Auf einen selbstbewussten Umgang mit dieser Selbstständigkeit und den Risiken im Hinblick auf die mentale und physische Gesundheit (Gefahren des Overload, Möglichkeiten und Grenzen des Multitaskings, Medienkonsum) sollte die Schule vorbereiten.

Im Hinblick auf die kollektive Selbstbestimmung und die Zukunft unserer Demokratie ist es wichtig, die wirtschaftlichen und politischen Zusammenhänge hinter der Digitalisierung, beispielsweise die gegenwärtigen Auseinandersetzungen um die Machtkonzentration in den Händen der Techkonzerne und Wege zur Regulierung, zu vermitteln. Das sind viele Aufgaben, die zugleich nur angegangen werden können, wenn die Schulen vernünftig ausgestattet sind und auch die Lehrer*innen entsprechende Ressourcen für die Arbeit mit den Schüler*innen sowie auch für ihre eigene Weiterbildung haben.