Bildungspolitik 13.10.2017

Seiteneinstieg: Vom Sporttrainer zum Lehrer

SeiteneinstiegLehrkräftemangelBelastungZfsL – Zentrum für schulpraktische Lehrer*innenausbildung
Seiteneinstieg: Vom Sporttrainer zum Lehrer

Das Modell Seiteneinstieg funktioniert nur mit gleichzeitiger Entlastung der Schulen

Mit dem Seiteneinstieg kennt sich Achim van Huet genau aus: Vor 14 Jahren hat er seine Laufbahn als Lehrer selbst so begonnen und betreut nun als stellvertretender Schulleiter am Berufskolleg Mitte in Essen Seiteneinsteiger*innen bei ihren ersten Schritten im Schulalltag.

  • Interview: Jessica Küppers
  • Funktion: Redakteurin im NDS Verlag
Min.

Im Interview erzählt Achim van Huet, welche Hürden die jungen Kolleg*innen am Anfang nehmen müssen, in welchen Fächern die Schulen auf den Seiteneinstieg besonders angewiesen sind und was in puncto Lehrkräftemangel zu tun ist.

Seiteneinstieg könnte das drängende Problem des Lehrkräftemangels an vielen Schulen zumindest vorübergehend lösen. Ist das aus Ihrer Sicht und aus Sicht der Schulleitung eine gute Lösung?

Schaut man sich die Studierendenzahlen in den Mangelfächern im gewerblich technischen Bereich an – wie Kraftfahrzeug-Mechatronik, Maschinenbautechnik, Versorgungstechnik oder Elektrotechnik –, muss man festhalten, dass der Seiteneinstieg dort im Moment oft die einzige Möglichkeit ist, dem Lehrer*innenmangel entgegenzuwirken. Am Berufskolleg Mitte der Stadt Essen (BKM), einem BK mit den gewerblichen Schwerpunkten Fahrzeugtechnik, Versorgungstechnik, und Orthopädietechnik, haben wir zum Teil sehr positive Erfahrungen mit Seiteneinsteiger*innen gemacht. Die Zahl der geeigneten Bewerber*innen reicht aber bei weitem nicht aus, um das Problem zu lösen.  

Gleichzeitig ist der Aufwand für die ausbildende Schule immens, wenn sie ihre Aufgabe ernst nimmt, neue Kolleg*innen verantwortungsbewusst und nachhaltig auszubilden. Neben der Freistellung für die begleitende Ausbildung am Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung findet an der Schule die Ausbildung in Form von schulinternen Seminaren, Teamcoachings und Hospitationen mit erfahrenen Kolleg*innen statt. Das erfordert einen hohen Einsatz von Schule und Kollegium. Dieser Mehraufwand muss von Kolleg*innen aus den Fachbereichen getragen werden, in denen gerade der Mangel und damit eine ohnehin schon höhere Belastung vorherrscht.

Der Seiteneinstieg kann dazu dienen, dem Lehrkräftemangel entgegenzutreten. Es muss aber gleichzeitig für Entlastung gesorgt werden. Ein Ansatz wäre, die Seiteneinsteiger*innen erst im zweiten Jahr ihrer Ausbildung auf die Personalausstattung der Schule anzurechnen.

Welche Unterschiede sehen Sie zwischen Seiteneinsteiger*innen und Bewerber*innen mit Lehramtsstudium? An welchen Stellen gibt es Probleme?

Während die Fachlichkeit der Seiteneinsteiger*innen in der Regel den Anforderungen mehr als genügt, ist natürlich die fehlende pädagogische Ausbildung für alle Beteiligten eine Herausforderung. Der Blick auf das System Schule ist oftmals geprägt durch die Erfahrungen als Schüler*in. Im Gegenzug können Seiteneinsteiger*innen oft mit beruflichen Erfahrungen aufwarten.

Vor meiner eigenen Bewerbung als Seiteneinsteiger habe ich als Trainer im Sport und als Nachhilfelehrer im Bereich der ausbildungsbegleitenden Hilfen Erfahrungen im Unterrichten gesammelt. Mein Bild vom Lehrer*innenberuf war geprägt von der romantischen Vorstellung, dass wissbegierige junge Menschen darauf warten, von meinem Wissen zu profitieren. Die Tatsache, dass die Erziehungsarbeit und die Motivation von Schüler*innen, die innerlich zum Teil mit Schule abgeschlossen haben, einen wesentlicher Teil der pädagogischen Arbeit sind, war mir damals nicht bewusst. Und so geht es sicher ganz vielen Seiteneinsteiger*innen.

Welche Voraussetzungen müssen Bewerber*innen unbedingt erfüllen, um als Seiteneinsteiger*innen arbeiten zu können?

Ich tue mich schwer damit, feste Parameter zu nennen. Ein gesundes Menschenbild und Offenheit gegenüber dem Unbekannten sind sicherlich genauso wichtig wie die Fähigkeit, das eigene Handeln zu reflektieren. Am BKM empfehlen wir potenziellen Bewerber*innen, sich eine Woche Zeit oder Urlaub zu nehmen und mal zur Probe in die Rolle der Lehrer*innen zu schlüpfen. Ähnliches bieten wir auch schon unseren Schüler*innen an, die sich für den Beruf als Lehrer*in interessieren.

Auch Sie sind über den Seiteneinstieg Lehrer geworden. Sind die Herausforderungen für die Bewerber*innen noch die gleichen wie damals? Welche ihrer Erfahrungen helfen Ihnen heute im Umgang mit Seiteneinsteiger*innen?

Mein Seiteneinstieg vor 14 Jahren dauerte ein knappes Jahr. Die intensive Unterstützung von Seiten der Schule und meiner Kolleg*innen hat mir in dieser sehr arbeitsreichen Zeit geholfen. Mittlerweile ist der Ausbildungszeitraum auf 24 Monate erhöht worden, was sicherlich notwendig war. Hierdurch ist allerdings auch die Verantwortung gegenüber den Seiteneinsteiger*innen nochmals gestiegen. Denn wenn sich erst nach zwei Jahren herausstellt, dass der eingeschlagene Weg der falsche war, kann das für den Betroffenen beruflich wie privat existenzielle Folgen haben.

Das Wissen um diese Problematik und die intensive Unterstützung, die ich während meiner Ausbildung hatte, prägen bis heute meinen Umgang mit dem Seiteneinstieg.

Was ist aus Ihrer Sicht notwendig, um den Lehrkräftemangel auf lange Sicht zu beheben?

Die ausbildenden Schulen werden zunehmend bei der Ausbildung von Referendar*innen und Seiteneinsteiger*innen in die Pflicht genommen. Was aufgrund des Praxisbezugs sicherlich sinnvoll ist, erhöht aber nochmals die ohnehin schon hohe Belastung von Schulen und Lehrer*innen. Der steigende verwaltungstechnische Aufwand, immer neue Herausforderungen wie zum Beispiel Inklusion oder Integration von Geflüchteten, der gewaltige Sanierungsstau an den Schulgebäuden sowie deren veraltete Ausstattung senken die Attraktivität dieses wunderbaren Berufs. Das muss sich schnellstens und grundlegend ändern.

Die Förderung und Bindung von jungen Menschen an Schule bereits während ihrer Ausbildung zur Lehrkraft in der beruflichen Bildung, sehe ich als Möglichkeit für Nachwuchs zu sorgen. Wir machen am BKM gute Erfahrungen, junge Menschen, die bei uns ihren Abschluss gemacht haben, auf den Weg zu schicken, um sie dann nach einem erfolgreichen Studium als Kolleg*innen in unserem Team aufzunehmen.