lautstark. 19.04.2024

AfD-Politik: Ein Bärendienst für künftige Generationen

AntidiskriminierungAntirassismusErinnerungskulturMitbestimmung

Studie erklärt Auswirkungen der AfD-Politik

Könnte die Alternative für Deutschland (AfD) ihr politisches Programm in die Praxis umsetzen, würden ihre eigenen Wähler*innen am meisten darunter leiden. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie "Das AfD-Paradox: Die Hauptleidtragenden der AfD-Politik wären ihre eigenen Wähler*innen" des Ökonomen Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).

Download pdf | 2 mb
  • Ausgabe: lautstark. 02/2024 | Wir gegen Rechts
  • im Interview: Marcel Fratzscher
  • Funktion: Wissenschaftler, Autor und Kolumnist zu wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Themen
  • Interview von: Denise Heidenreich
  • Funktion: freie Journalistin
Min.
Marcel Fratzscher ist Wissenschaftler, Autor und Kolumnist zu wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Themen, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Welche Auswirkungen hat die AfD-Politik für ihre Wähler*innen und was bedeutet das AfD-Paradox konkret?

Marcel Fratzscher: Wir sehen zunehmend einen öffentlichen Diskurs in Deutschland, der von Populismus und alternativen Fakten geprägt ist. Dabei versucht vor allem die AfD, aber auch manche*r Politiker*in demokratischer Parteien, verletzliche Gruppen unserer Gesellschaft gegeneinander auszuspielen.

Es wird zum Beispiel behauptet, soziale Leistungen und Hilfen für manche gingen zulasten anderer Gruppen, die deshalb weniger Leistungen, einen geringeren Lohn oder eine schlechtere Unterstützung erhalten würden. Das AfD-Paradox beschreibt die Tatsache, dass vor allem Wähler*innen der AfD besonders stark unter einer AfD-Politik, die den oben beschriebenen Populismus als Grundlage hat, leiden würden.

Denn viele Wähler*innen der AfD gehören selbst zu verletzlichen Gruppen: Sie haben tendenziell häufig weniger Einkommen und Ersparnisse, leben in ländlichen Räumen und strukturschwächeren Regionen, haben eine mittlere oder geringere Bildung und sind oft nicht sehr mobil.

Die AfD fordert Kürzungen sozialer Leistungen, Steuersenkungen für Spitzenverdiener*innen, weniger staatliche Hilfen und damit auch eine schlechtere Daseinsvorsorge für die Bevölkerung. Diese Partei will Europa schwächen und die Grenzen nicht nur für Migrant*innen schließen, sondern Deutschland auch wirtschaftlich abschotten.

Das würde viele Millionen Arbeitsplätze in unserem Land kosten, was vor allem AfD-Wähler*innen teuer zu stehen kommen und viele den eigenen Arbeitsplatz kosten würde. Kurzum: Die AfD-Politik würde enorme wirtschaftliche Kosten haben und die gesellschaftliche Polarisierung verschärfen. Viele der AfD-Wähler*innen wären die Hauptleidtragenden einer solchen Politik.

Wie kommt es dazu, dass Bürger*innen die Politik einer Partei unterstützen, die dem eigenen Wohlergehen und den eigenen Interessen stark zuwiderläuft?

Marcel Fratzscher: Zahlreiche Studien und Umfragen zeigen, dass ein Großteil der AfD-Wähler*innen nicht per se rechtsextrem oder fremdenfeindlich ist. Viele sind frustriert und fühlen sich von der Politik allein gelassen. Es mangelt an Wertschätzung, die Menschen haben reale Zukunftsängste. Diese Sorgen und Frustrationen sind verständlich und legitim.

Mit der Wahl der AfD wollen diese Personen den etablierten Parteien einen Denkzettel verpassen und nicht generell für eine wirtschaftsschädliche und fremdenfeindliche Partei stimmen. Sie realisieren dabei jedoch nicht, dass sie sich dadurch selbst am meisten schaden und auch künftigen Generationen einen Bärendienst erweisen.

Wie ließe sich diese Fehleinschätzung von Bürger*innen beheben? Was muss in den Bereichen Politik und Gesellschaft generell und insbesondere mit Blick auf die in diesem Jahr anstehenden Landtagswahlen getan werden?

Marcel Fratzscher: Wir benötigen in Deutschland einen ehrlicheren öffentlichen Diskurs über die Fragen, die die Menschen in unserer Gesellschaft umtreiben. Die Verantwortlichen in der Politik müssen offener Fehler eingestehen, aber auch besser kommunizieren, was der Staat leisten kann und was nicht.

Viele Personen in Wirtschaft und Gesellschaft machen es sich in diesen schwierigen Zeiten zu leicht, indem sie die Politik als Sündenbock für alle Probleme missbrauchen. Dies wird jedoch nicht funktionieren, denn auch Gesellschaft und Wirtschaft müssen mehr Verantwortung übernehmen.

Gerade die Stärkung der Bildung für Kinder und Jugendliche, aber auch für Erwachsene spielt für einen solchen öffentlichen Diskurs eine enorm wichtige Rolle. Unsere Demokratie kann nur mit mündigen, verantwortungsvollen Menschen funktionieren. Erst Bildung und ein konstruktiver öffentlicher Diskurs machen die Bürger*innen zum Souverän.