lautstark. 19.04.2024

Die neue Gefahr von rechts

AntidiskriminierungAntirassismusBelastungMigration und Flucht

Der „rechte Rand“ des bundesdeutschen Parteiensystems

Eine Eintagsfliege? Ein Problem, das sich von selbst erledigen wird? Politologin Gudrun Hentges gibt einen Überblick über Rechtsaußen-Parteien in Deutschland und warnt davor, die AfD zu unterschätzen.

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  • Ausgabe: lautstark. 02/2024 | Wir gegen Rechts
  • Autor*in: Prof.in Dr.in Gudrun Hentges
  • Funktion: Leitung des Lehr- und Forschungsbereichs Politikwissenschaft und Bildungspolitik an der Uni Köln
Min.

Das gesellschaftliche Phänomen des Rechtsextremismus ist keineswegs einheitlich. Unter seinem Dach finden sich unter anderem rassistische, antisemitische, nationalistische oder antifeministische Ideologien, die im zeitlichen Verlauf ganz unterschiedliche Ausprägungen angenommen haben. Gemeinsam ist rechtsextremen Einstellungen, Verhaltensweisen und Aktionen, dass sie von der Prämisse einer rassisch oder ethnisch bedingten sozialen Ungleichheit aller Menschen ausgehen. In Zusammenhang damit lehnen sie das Gleichheitsgebot der Deklaration der Menschenrechte ab.

Rechtsextreme Ideologien und Organisationen fordern eine ethnische Homogenität von Völkern. Sie streben eine Gesellschaft an, in der die völkische, kollektivistische Gemeinschaft vor dem Individuum Priorität hat. Sie fordern von den Bürger*innen eine Unterwerfung unter die staatliche Macht, genauer: den autoritären Nationalstaat. Sie lehnen gesellschaftliche Heterogenität, den kulturellen Pluralismus und Wertepluralismus einer liberalen Gesellschaft ab, wollen Prozesse der Demokratisierung rückgängig machen und bekämpfen multikulturelle Gesellschaften. Demnach handelt es sich beim Rechtsextremismus um eine Ideologie, die antimodernistisch ausgerichtet ist. Je nach gesellschaftlicher Konjunktur reagiert diese Ideologie auf soziale Verwerfungen, auf multiple Krisen oder auf Kriege.

Parteien am rechten Rand und ihre Geschichte

Sozialistische Reichspartei (SRP), Nationaldemokratische Partei (NPD), Die REPublikaner (REPs), Deutsche Volksunion (DVU), Die Heimat, Der Dritte Weg, Freie Sachsen – unter diesen Namen firmierten oder firmieren Rechtsaußen-Parteien in der Nachkriegszeit, ab Mitte der 1960er-Jahre, in den 1990er-Jahren oder heute. Während die SRP 1952 vom Bundesverfassungsgericht verboten wurde, da sie sich in der Nachfolge der NSDAP sah, existiert die NPD – 1964 gegründet – bis heute. Im Juni 2023 benannte sie sich in „Die Heimat“ um. Bis heute zeichnet sich diese rechtsextreme Partei, die im November 2024 ihren 60. Gründungstag feiern wird, durch eine völkisch-nationalistische und revanchistische – also auf gewaltsame Vergeltung politischer oder militärischer Niederlagen ausgerichtete – Ideologie aus. So existieren die NPD und ihre Jugendorganisation, die Jungen Nationalisten (JN), seit Jahrzehnten als rechtsextreme und teils offen neofaschistische Partei. Der Bundesrat stellte einen Verbotsantrag, der jedoch im Januar 2017 vor dem Bundesverfassungsgericht scheiterte.

Das Gericht begründete seine Entscheidung mit den fehlenden „Anhaltspunkten für eine erfolgreiche Durchsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele“. Mit anderen Worten: In dem Urteil wurde festgehalten, dass die NPD ein politisches Konzept vertrete, das auf die Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gerichtet sei. Die NPD wolle die bestehende Verfassungsordnung beseitigen und arbeite planvoll und mit hinreichender Intensität, um den demokratischen Rechtsstaat und das föderale System zu zerstören. Die NPD strebe einen autoritären Nationalstaat und eine ethnisch definierte Volksgemeinschaft an. Zum damaligen Zeitpunkt kam das Bundesverfassungsgericht zu der Einschätzung, es fehle jedoch an konkreten Anhaltspunkten, um die Voraussage zu treffen, dass die NPD ihr Ziel erreichen werde. Demnach wurde der Antrag des Bundesrats auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der NPD und Auflösung ihrer Unterorganisationen
abgelehnt.

Die REPs, gegründet 1983, erzielten 1989 einen Wahlerfolg bei den Wahlen zum Westberliner Abgeordnetenhaus und zogen mit 7,5 Prozent der Stimmen erstmals in ein Landesparlament ein. Bei den Wahlen zum Europaparlament 1989 errangen die REPs 7,1 Prozent der Stimmen und stellten sechs Abgeordnete. Vertreten war die rechtsextreme Partei von 1992 bis 2001 im Landtag von Baden-Württemberg und von 1989 bis 1990 im Berliner Abgeordnetenhaus. In den Jahren 1985 bis 1987 waren die REPs mit drei Abgeordneten in der Bremischen Bürgerschaft vertreten. Diese Gruppe kam dadurch zustande, dass drei CDU-Abgeordnete in der Bürgerschaft zu den REPs übertraten. Nach ihrem Höhenflug Ende der 1980er-Jahre versanken die REPs jedoch wieder in der Bedeutungslosigkeit. Lediglich in Baden-Württemberg waren sie bis 2001 im Landtag vertreten. 

Lange unterschätzt: die AfD

Die Alternative für Deutschland (AfD) wurde in den ersten Jahren nach ihrer Gründung im Frühjahr 2013 häufig falsch eingeschätzt beziehungsweise unterschätzt. Immer wieder wurde darauf verwiesen, dass ab Mitte der 1990er-Jahre auch andere rechtspopulistische Formationen am rechten Rand entstanden und wieder verschwunden seien, zum Beispiel Der Bund freier Bürger (1994 bis 2000), die Pro-Parteien (entstanden 1996 in Köln) oder auch Die Freiheit (2010 bis 2016). Zudem war unklar, in welche Richtung sich die AfD, die auch häufig als Professorenpartei bezeichnet wurde, entwickeln werde. Gegründet unter anderem von dem Hamburger Volkswirtschaftler Bernd Lucke, setzte die AfD in den ersten Jahren ihre Kritik am Rettungspaket für Griechenland – verbunden mit einer harschen EU-Kritik – auf die Agenda.

In den Anfangsjahren existierten unter dem Dach der AfD verschiedene politische Strömungen: die national-konservative Strömung, unter anderem repräsentiert durch Alexander Gauland und Beatrix von Storch die national-neoliberale Strömung, unter anderem repräsentiert durch Bernd Lucke der völkische Flügel, unter anderem repräsentiert durch Björn Höcke, Hans-Thomas Tillschneider und Andreas Kalbitz Die national-neoliberalen und marktradikalen Kräfte innerhalb der AfD fordern einen Rückzug des Staates aus der Gesellschaft, einen Abbau der Daseinsvorsorge und einen massiven Abbau der sozialen Sicherungssysteme. Der völkische Flügel tritt offen nationalistisch, rassistisch, antisemitisch und antifeministisch auf. Während die national-neoliberale beziehungsweise marktradikale Strömung im Zuge des Machtkampfes an Einfluss verloren hat, konnte sich innerhalb der Partei nach und nach der völkische Flügel um Björn Höcke durchsetzen.

Heute ist nachweisbar: Die AfD ist in Teilen rechtsextremistisch

Eine Analyse der Programmatik und Ideologie der AfD lässt keinen Zweifel daran, dass sich deren Positionen auszeichnen durch Ungleichwertigkeitsideologien und durch die Ablehnung des Gleichheitsgebots der Deklaration der Menschenrechte. Das gilt für das Parteiprogramm, für Reden, die in der Plenardebatte im Bundestag oder in den Landtagen gehalten werden, das gilt auch für Reden auf Parteiversammlungen oder etwa Quellen und Dokumente, die von AfD-Funktionär*innen oder Mandatsträger*innen verbreitet werden, teils auch über Social Media. Die universellen Menschenrechte werden seitens der AfD immer wieder relativiert oder gar bestritten. Bezugsgröße der Programmatik und Ideologie sind das deutsche Volk, die deutsche Kultur oder etwa „die deutsche Identität als Leitkultur“, wie es im AfD-Grundsatzprogramm von 2016 heißt.

Das Institut für Menschenrechte kommt in seiner Studie „Nicht auf dem Boden des Grundgesetzes“ zu der Einschätzung, dass „rassistische und rechtsextreme Positionen [...] im öffentlichen und politischen Raum deutlich zugenommen“ haben. Der Verfasser Hendrik Cremer wirft die Frage auf, an welchen Anzeichen rassistische und rechtsextreme Positionen zu erkennen seien. Er argumentiert, dass die unabdingbaren Grundlagen der Menschenrechte die zentralen Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung seien. Diese sind festgeschrieben in Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Demnach genießt jeder Mensch aufgrund seines Menschseins die gleiche Menschenwürde und die gleichen Rechte. 

Das Diskriminierungsverbot, das in Artikel 3 Ab-satz 3 des Grundgesetzes geregelt ist, soll sicherstellen, dass Menschen, die bestimmten Gruppen angehören, die immer wieder Diskriminierung ausgesetzt sind, geschützt werden. Dieses verfassungsrechtlich verankerte Diskriminierungsverbot umfasst auch das Verbot einer rassistischen Diskriminierung. Demnach dürfen Menschen nicht aufgrund ihrer phänotypischen Merkmale wie ihrer Hautfarbe, ihrer vermeintlichen oder tatsächlichen Herkunft oder aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit benachteiligt werden. Die Studie des Instituts für Menschenrechte konnte anhand zahlreicher Beispiele aufzeigen, dass sich rassistische, national-völkische Positionen und rechtsextreme Ideologien in den Grundsatzpapieren der AfD finden lassen, die gegen die Unantastbarkeit der Menschenwürde sowie das Diskriminierungsverbot verstoßen.

Auch in Bezug auf die „Strategien zur Durchsetzung ihrer Positionen“ findet Hendrik Cremer zahlreiche Beispiele: Von Alice Weidel stammt die Aussage, die „politische Korrektheit“ gehöre auf den „Müllhaufen der Geschichte“; Alexander Gauland sprach sich dafür aus, dass „wir in der Tat versuchen, die Grenzen des Sagbaren auszuweiten“. „Und ja, da findet eine Ausweitung der sagbaren Zone statt, und das ist auch beabsichtigt“, so Hendrik Cremer. Seit Erscheinen dieser Analyse des Instituts für Menschenrechte im Jahre 2021 ist die AfD im Schulterschluss mit Kräften wie der Identitären Bewegung noch einen Schritt weitergegangen. Überdeutlich wurde dies an dem Geheimtreffen im Landhaus Adlon am Lehnitzsee in der Nähe von Potsdam, das im November 2023 stattgefunden hatte und im Januar 2024 durch CORRECTIV aufgedeckt wurde. Spätestens seit diesem Treffen gibt es keine Zweifel mehr am ideologischen Kern der AfD: der Herstellung einer ethnisch homogenen völkisch autoritären Gemeinschaft.

Wir brauchen Gegenstrategien statt Schweigen

Es bleibt zu hoffen, dass die großen Demonstrationen, die bundesweit als Reaktion auf das Geheimtreffen stattfanden, dafür sorgen werden, dass die Gefahr von rechts nicht verharmlost wird. Vielmehr gilt es, in allen gesellschaftlichen Bereichen deutlich zu machen, dass jene Akteur*innen der populistischen oder extremen Rechten, die solche Pläne schmieden, die Menschen- und Grundrechte angreifen und unterwandern. Oder mit den Worten des Theologen Martin Niemöller: „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist. Als sie die Gewerkschaftler holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschaftler. Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“ 

Lektüretipps

Rechtsradikalismus, Rechtsextremismus und Rechtspopulismus

Mehr erfahren unter anderem zu rassistischen und rechtsextremen Parteien in Deutschland

  • Gerd Wiegel
    „Rechtspopulisten im Parlament. Polemik, Agitation und Propaganda der AfD“
    Westend Verlag, Oktober 2018
  • Hendrik Cremer
    „Nicht auf dem Boden des Grundgesetzes. Warum die AfD als rassistische und rechtsextreme Partei einzuordnen ist“
    Deutsches Institut für Menschenrechte | kostenfreier PDF-Download
  • Gudrun Hentges
    „(Neo)Faschismus, Rechtsradikalismus, Rechtsextremismus, Rechtspopulismus. Definitionen und theoretische Konzepte.“ In: Emre Arslan u. a. (Hg.), Radikalisierung und Prävention im Fokus der Sozialen Arbeit
    Beltz Juventa Verlag, 2023
  • Hans-Gerd Jaschke
    „Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Begriffe, Positionen, Praxisfelder“
    Westdeutscher Verlag, 2001