Erwachsenenbildung 02.06.2021

Shutdown für die Integration?

CoronaMigration und Flucht

Erwachsenenbildung: Integrationskurse werden von der Politik vergessen

In den letzten Wochen wurde heftig über die die Realisierung von Unterricht für Kinder und Jugendliche diskutiert – fraglos ein Thema von großer Tragweite und Dringlichkeit. Leider wird in diesem Zusammenhang von den verantwortlichen Bildungspolitikern*innen meist vernachlässigt, dass es noch eine andere große Gruppe von Menschen in unserer Gesellschaft gibt, die insbesondere der sprachlichen Fort- und Weiterbildung bedarf: die der Flüchtlinge und Zuwander*innen.

  • Autor*innen: GEW NRW & Flüchtlingsrat e.V. Köln
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Der Ausschuss für Migration Diversity und Antidiskriminierung (LAMDA) und der Fachgruppenausschuss Erwachsenenbildung der GEW NRW sowie der Flüchtlingsrat e.V. Köln beobachten die Zustände seit Beginn der Pandemie mit großer Sorge: „Als Dozent*innen und Berater*innen in der Erwachsenenbildung wissen wir, wie wichtig Integrations- und andere Deutschkurse für die Teilnehmenden sind und befürchten, dass eine weiterhin unbefristete Aussetzung der Arbeit in diesen Kursen schwerwiegende Folgen für die Teilnehmenden, ihre Familien und den gesellschaftlichen Zusammenhalt haben wird.“ Die Ausschüsse der GEW NRW und der Flüchtlingsrat e.V. zeigen die Missstände auf und machen konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Situation:

Onlinekurse für Geflüchtete in der Erwachsenenbildung haben eine begrenzte Reichweite

Mit dem vom Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und den Schulministerien in dieser Krisenzeit besonders favorisierten Online-Unterricht in virtuellen Klassenzimmern kann man die besondere Klientel der Integrationskurse nach unserer Erfahrung oftmals nicht erreichen. Es fehlt nicht nur an Endgeräten wie Tablets, Laptops oder PCs – denn mit Smartphones ist allenfalls übergangsweise eine Teilnahme am virtuellen Unterricht möglich –, sondern häufig auch an sprachlichen beziehungsweise technischen Kompetenzen im Umgang mit den digitalen Medien, um erfolgreich an einem Online-Kurs teilzunehmen.

Viele der Teilnehmenden, die am dringendsten auf den Sprachkurs angewiesen sind, leben auch beengt in Wohnheimen oder in kleinen Wohnungen mit der ganzen Familie. Oftmals müssen gleichzeitig Kinder am Online-Unterricht ihrer Schule teilnehmen, was zu Problemen führt, da im Haushalt meist nur ein Endgerät vorhanden ist. Sehr viele Teilnehmer*innen steht zudem keine ausreichende Internetverbindung zur Verfügung.

Konzepte des BAMF für einen sicheren Präsenzunterricht nutzen

Integrations- und andere Sprachkurse sind Bildung! Sie müssen weiterführenden Schulen und Berufsschulen gleichgestellt werden. Sie bereiten ebenso auf Berufstätigkeit vor und sind darüber hinaus unverzichtbar für das gesellschaftliche Miteinander. Nach vielen Monaten der kompletten Schließung bietet das Land NRW den Trägern der Integrationskurse nun endlich auch die Möglichkeit, den Präsenzbetrieb in Integrationskursen wieder aufzunehmen. Allerdings geschieht dies nicht analog zu den Schulöffnungen, sondern erst zu einem Zeitpunkt, zu dem auch Kurse zur Freizeitgestaltung wieder stattfinden dürfen. Das Vorgehen darf sich in Zukunft nicht wiederholen. In anderen Bundesländern wie zum Beispiel in Hessen wurde die gesellschaftliche Bedeutung der Integrationskurse offensichtlich anders eingeschätzt, denn dort haben im vergangenen halben Jahr Integrationskurse in Präsenz stattgefunden.

Es gibt Konzepte des BAMF für den Präsenzunterricht, die schon im letzten Jahr angewandt wurden mit Abstandsregeln im Klassenraum, Hygienekonzepten und Wechselunterricht. Nur durch gemeinsame Anstrengungen von Dozent*innen, Teilnehmenden und Träger*innen konnten sie auch in NRW erfolgreich praktiziert werden.

Kleinere Gruppen und negative Coronatests für sichere Integrationskurse einführen

Zur Verbesserung der Situation muss eine Förderung des Unterrichtens in noch kleineren Gruppen angestrebt werden. Zusätzlich könnte ein negativer Coronatest mehr Sicherheit im Unterricht bieten. Dies bedeutet für die Träger allerdings einen Mehraufwand, der einer finanziellen und/oder logistischen Unterstützung durch öffentliche Stellen bedarf. Ansonsten werden die Präsenzkurse aufgrund mangelnder Rentabilität nicht stattfinden können.  

Die erste Phase der Wiederaufnahme der Integrationskurse muss für die Wiederholung und Reaktivierung des bisher Gelernten vorbehalten sein. Wir denken, dass dafür rund 100 zusätzliche – das heißt nicht anrechenbare – Unterrichtseinheiten eingeplant werden müssen.

Soziale Teilhabe ermöglichen, Integration sichern und Dozent*innen finanziell absichern

Die aktuelle politische Fokussierung auf Förderung des Online-Unterrichts verstärkt soziale Ungleichheiten und schließt die Schwächsten im Kreis der durch uns zu Betreuenden von einer Chance auf Teilhabe aus. Viele können nun schon seit Monaten keinen Sprachkurs besuchen. Das bedeutet nicht nur, dass sie ihre Sprachkenntnisse nicht verbessern oder sogar wieder verlieren, sondern auch, dass sie von wichtigen sozialen Kontakten und Ansprechpartner*innen getrennt bleiben. 

Für viele Anbieter*innen und Dozent*innen der Sprachkurse stellt die Ausschließlichkeit von Online-Unterricht ein existentielles Problem dar. Zum einen bedarf es eines großen technischen und finanziellen Aufwandes die Kurse durchzuführen und zum anderen ist die geringere Nachfrage nach Online-Unterricht im Gegensatz zu Präsenzkursen ein Problem. Die Mittel aus dem Sozialdienstleister-Einsatzgesetz (SodEG) fangen nur einen Teil der finanziellen Ausfälle auf.
Wenn die Kurse nach der Corona-Pandemie wieder anlaufen, sind also womöglich große Teile der über Jahre aufgebauten Strukturen im Sprachkursbereich zerbrochen. Sie aber bilden eine wichtige Grundlage der Integration in Deutschland. 

In Zusammenarbeit: Ausschuss für Migration Diversity und Antidiskriminierung (LAMDA) und Fachgruppenausschuss Erwachsenenbildung der GEW NRW sowie Flüchtlingsrat e.V. Köln