lautstark. 26.09.2023

Kita-Beschäftigte und Eltern müssen im Dialog bleiben

BelastungFachkräftemangelFrühkindliche BildungSozial- und Erziehungsdienst

Gemeinsam gegen den Fachkräftemangel in der frühkindlichen Bildung

Mehr Ausbildungskapazitäten, bessere Arbeitsbedingungen, aber auch kurzfristige Unterstützung durch Quereinsteiger*innen und multiprofessionelle Teams – es gibt viel zu tun, um den Kita-Kollaps abzuwenden, und es eilt. Drei engagierte Expertinnen erzählen, warum Beschäftigte und Eltern für gute frühkindliche Bildung unbedingt an einem Strang ziehen müssen.

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  • Ausgabe: lautstark. 05/2023 | Belastungen reduzieren: Weil zu viel zu viel ist
  • im Interview: Ellen Ostermann | Sandra Au | Daniela Heimann
  • Funktion: Mitorganisatorin einer Protestaktion | Kitaleiterin | Vorstandsmitglied des Landeselternbeirats NRW
  • Interview von: Simone Theyßen-Speich
  • Funktion: Diplom-Journalistin
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Wie erleben Sie als Eltern und Fachkräfte die Personalnot in der Kita?

Sandra Au: Die personelle Situation ist belastend für beide Seiten. Wenn Personal fehlt und man beispielsweise ad hoc eine Notgruppe einrichten muss, ist viel zu organisieren: Gruppen schließen, Betreuungszeit organisieren, Eltern informieren, Dienstplan umschreiben, Caterer benachrichtigen. Und im Mittelpunkt muss dabei immer noch stehen, den Tag inhaltlich zu planen. Das alles bedeutet viel Stress, bei dem Mitarbeiter*innen an ihre Grenzen gehen. Auch von Eltern wird dann viel Flexibilität gefordert, wenn sie etwa ihr Kind schon früher abholen müssen. Wenn in der Einrichtung die Stellen gut besetzt sind, kann man das auffangen. Aber wenn man ohnehin unbesetzte Stellen hat und beispielsweise zusätzlich länger erkrankte Kolleg*innen, dann ist das ein Dauerthema, das Familien und Kitamitarbeiter*innen gleichermaßen belastet.

Daniela Heimann: Den Fachkräftemangel erfahre ich tagtäglich – persönlich, aber auch in Gesprächen mit anderen Eltern. Einige Kommunen haben deshalb dauerhaft die Betreuungszeiten gekürzt. Woanders stehen Eltern morgens mit dem Kind vor der Einrichtung, in der Personal plötzlich krank ist, und sie müssen ihr Kind wieder mitnehmen. Das betrifft dann Eltern, die auch andere Verpflichtungen haben – etwa einen Beruf oder Betreuungsfälle in der Familie.

Auch in Kitas, in denen die Betreuungszeiten nicht gekürzt werden mussten, macht sich die Angebotseinschränkung bemerkbar. Es gibt weniger Ausflüge, keine Familienangebote am Nachmittag, weil all das Überstunden bedeuten würde. Das alles ist ein großes Problem – auch mit Blick auf die Chancengleichheit. Besonders die Kinder, die das Kitasystem dringend brauchen, kommen zu kurz.

Erleben Kitabeschäftigte und Eltern Verständnis oder sogar Unterstützung von der jeweils anderen Seite?

Sandra Au: Ich habe für die notwendigen Maßnahmen immer viel Verständnis von den Eltern bekommen. Wichtig ist dabei, dass die Kitaleitung im engen Kontakt mit dem Elternbeirat steht. Die Einrichtung muss frühzeitig über geplante Schritte informieren, damit das Handeln transparent ist. Dann kann man mit Eltern gemeinsam einen Notfallplan erarbeiten. 

Einige Kitas schließen blockweise einzelne Gruppen, andere fragen individuell den Bedarf ab – den richtigen Weg muss jede Einrichtung für sich finden. Das hat bei uns bislang immer geklappt. Aber natürlich hängt das Verständnis der Eltern auch davon ab, wie häufig solche Ausnahmeregelungen notwendig sind.

Daniela Heimann: Im Großen und Ganzen herrscht Solidarität. Die Eltern wissen ja auch, dass die Fachkräfte keine andere Wahl haben. Viele verstehen, dass es vorgegebene Zwänge mit Blick auf Aufsichtspflicht und Gruppengrößen gibt. Aber natürlich stehen Eltern auch unter Druck, wenn beispielsweise ein beruflicher Termin drängt.

Und dann gibt es noch die Eltern, die aushelfen wollen. Sie bieten etwa an, in der Küche zu helfen, und sind dann frustriert, weil sie das nicht dürfen. Solche Hürden müssen niedriger werden – da, wo es sinnvoll ist. So könnten etwa mit Hygienezeugnis Alltagshelfer*innentätigkeiten von Eltern übernommen werden. Solange eine pädagogische Fachkraft den Hut auf hat, könnten ergänzende Kräfte einzelne Projekte übernehmen.

Was hilft Ihrer Ansicht nach dabei, das gegenseitige Verständnis zu fördern?

Daniela Heimann: Gemeinsame Projekte tragen zum gegenseitigen Verständnis bei. Wichtig ist ein ständiger Dialog. Solange darüber gesprochen wird, warum etwas nicht geht, warum eingeschränkt wird, gibt es keine Fronten. Eltern müssen spüren, dass sie mitgestalten können, etwa wenn die Kriterien, nach denen Gruppen reduziert werden, gemeinsam erarbeitet werden.

Sandra Au: Für Eltern und Erzieher*innen ist es wichtig, miteinander zu sprechen. Und wir müssen das Thema Fachkräftemangel weitertragen: von der Kita in die Kommune und zum Land. Versprechen von Politiker*innen bei einem Kitagipfel, ohne dass danach etwas passiert, bringen nichts. Eltern und Erzieher*innen müssen gemeinsam erreichen, dass der Protest auch an den richtigen Stellen ankommt.

Was muss sich verändern, damit sich die angespannte Situation im System Kita verbessert? Welche Schnittmengen gibt es bei den Forderungen von Eltern und Fachkräften?

Sandra Au: Die Schnittmenge ist der Kindergarten. Eltern möchten funktionierende Kitas, ansprechende Räume, nettes Personal, die Kita als Konstante im Alltag. Und wir Fachkräfte möchten das Gleiche: Wir möchten viel Zeit am Kind verbringen, interessante Angebote machen und nicht nur den Mangel verwalten und die Aufsichtspflicht sicherstellen. Die Schnittmenge ist ein funktionierendes System Kita. Aber dafür brauchen wir Fachkräfte Entlastung.

Deshalb müssen die Ausbildungskapazitäten erhöht, der Seiten- und Quereinstieg vereinfacht und ausländische Berufsabschlüsse anerkannt werden. Zudem könnten multiprofessionelle Teams mitarbeiten, besetzt mit Therapeut*innen und anderen Berufen, die dann eine pädagogische Weiterbildung haben.

Daniela Heimann: Es kann ja nicht sein, dass Kitaleitung oder Fachkräfte in der Küche stehen und kochen müssen, wenn die Hauswirtschaftskraft ausfällt. Deshalb ist Unterstützung wichtig, damit sich Leitungskräfte auf Team- und Organisationsentwicklung konzentrieren können.

Ellen Ostermann: Vor allem müssen wir mit Blick auf den Fachkräftemangel die Regeln vereinfachen. Die bezahlte Praxisintegrierte Ausbildung (PIA) ist der richtige Weg. Niemand möchte den Job ohne Bezahlung machen, da muss man sich dem aktuellen Arbeitsmarkt anpassen. Bei der Einstellung von Quereinsteiger*innen muss geschaut werden, dass der pädagogische Anspruch gewährleistet ist.

Gibt es neben den Schnittmengen auch Konfliktpunkte zwischen Eltern und Kitabeschäftigten?

Sandra Au: Für Eltern steht die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Vordergrund. Einige Eltern bräuchten noch längere Betreuungszeiten. Das ist über die 45 Wochenstunden hinaus, die es in NRW maximal gibt, aber schwierig, auch aus pädagogischer Sicht. Diesen Konflikt zwischen Betreuung und pädagogischer Erziehung muss man manchmal erklären.

Daniela Heimann: Die Schnittmenge ist aber schon sehr groß. Als 2022 der Tarifvertrag verhandelt wurde und es um Entlastungstage oder höheren Schallschutz für Erzieher*innen ging, haben sich viele Eltern solidarisiert. Beim Thema des Verdienstes war die Unterstützung in diesem Jahr zugegebenermaßen etwas zurückhaltender. Damit Eltern beispielsweise nachvollziehen können, warum die auskömmliche Kitafinanzierung für die Träger schwierig ist, müssten mehr Zahlen öffentlich bekannt sein.

Wie können Eltern und Erzieher*innen gemeinsam aktiv werden, um gegen den Fachkräftemangel zu kämpfen?

Sandra Au: In Bonn hat sich ein Aktionsbündnis Eltern am Limit gegründet. Man hat sich auf Facebook vernetzt und am 26. Februar 2023 eine Demo veranstaltet. Wir als GEW NRW haben uns auch daran beteiligt. Forderungen der Initiative sind verlässliche Kitabetreuung, bessere Arbeitsbedingungen für Kitabeschäftigte und Entlastungen für die Familien. Etwa 200 Personen waren bei der Demo dabei. Die Aktion kam von den Eltern, es war aber wichtig, dass auch Fachkräfte mit dabei waren. Umgekehrt ist es wichtig, dass Eltern die Streiks der Beschäftigten unterstützen. 

Daniela Heimann: Demonstration ist eine Sache. Man muss aber auch gemeinsam auf die Kommunalpolitik zugehen und Druck ausüben. Sinnvoll wäre, eine Arbeitsgemeinschaft oder einen Kitagipfel mit Fachkräften und betroffenen Eltern zu bilden, um zu sehen, wo es Spielraum gibt. Nur gemeinsam kann man etwas erreichen, sonst wird man gegeneinander ausgespielt. Über die Landeselternschaft motivieren wir auch die örtlichen Elternvertreter*innen, Gespräche in ihrer Kommune aufzunehmen. Das Wichtigste ist aber, bei alledem die Kinder nicht aus dem Blick zu verlieren. Alle zwei Tage nur in die Kita zu dürfen, von Spielkamerad*innen getrennt zu sein, das ist für Kinder schlimm genug.

Ellen Ostermann: Ob unsere Demonstration im Februar in Bonn etwas bewegt hat, ist schwer zu sagen. Sie hat auf jeden Fall Aufmerksamkeit gebracht. Auch beim bundesweiten Bildungsprotest am 23. September waren wir dabei. Jetzt müssen wir weitermachen. Wir vernetzen uns bundesweit mit ähnlichen Initiativen. Es braucht mehr Geld vom Bund, die Kommunen sind da auch oft machtlos. Es gibt durchaus gute Ideen, aber Qualität hat ihren Preis.