Richtiger Umgang mit Radikalisierung an Schulen

Internationale Konferenz in Helsinki zu Präventionsmaßnahmen

Expert*innen aus aller Welt beschäftigten sich am 1. und 2. März 2017 mit dem Thema „Radikalisierung an Schulen“. Die Konferenz Radicalisation Awareness Network-Centre of Excellence (RAN-EDU) in Helsinki unter dem Motto „Die richtige Fortbildung für die richtigen Leute“ hat das Ziel, Schulen Konzepte an die Hand zu geben zum Umgang mit gefährdeten Jugendlichen.
Richtiger Umgang mit Radikalisierung

Foto: iStock.com/Laflor

36 Expert*innen aus 15 EU-Ländern diskutierten in Helsinki über pädagogische Programme zur Prävention von Radikalisierungen. Gemeinsam verschafften sie sich einen Überblick über Fortbildungsprogramme, die den Erziehungsinstitutionen Europas als Orientierung dienen sollen.

Radikalisierung bietet Chance zur Festigung der Demokratie

In der Diskussion wurde zunächst der Begriff „Radikalisierung“ hinterfragt, denn die Teilnehmer*innen waren sich einig, dass die Entwicklung radikaler Ideen, die das politische System herausfordern, an sich nichts Schlechtes ist und nicht kriminalisiert werden darf. Prävention gegenüber Radikalisierung sollte sich eher auf die Festigung demokratischer Widerstandskraft beziehen. Im Umgang mit radikalen Ideen nehmen Menschen an gesellschaftlichen Debatten teil und provozieren Veränderungen.

Im Weiteren wurde der Begriff der Radikalisierung deshalb bezogen auf Bereitschaft zu Gewalt und Unterstützung terroristischer Organisationen. Auch Stufenmodelle der Radikalisierung wurden kritisch gesehen, weil sie der Komplexität des Phänomens nicht gerecht würden.

Schüler*innen und Lehrkräfte führen offene Gespräche über Radikalisierung

Ein Beitrag über das finnische Schulsystem machte deutlich, wie Schulen einen geschützten Raum für Schüler*innen und Lehrer*innen bilden können. Das System basiere auf einem hohen Vertrauen der Behörden und der Öffentlichkeit in die Schulen, begleitet von einer guten Kooperation verschiedener Arbeitsebenen. Lehrtätigkeit sei in Finnland ein attraktives Berufsfeld, mit sehr gut ausgebildeten und in der Öffentlichkeit hoch geachteten Persönlichkeiten. Wenn es dort um das Phänomen der Radikalisierung gehe, sei eine Kultur des offenen Gesprächs und der ernsthaften Auseinandersetzung mit den Sorgen und Nöten der Schüler*innen weit verbreitet.

Die Teilnehmer*innen stellten folgende Fragen für das geplante Fortbildungsprogramm:

  • Wie können Lehrkräfte so sensibilisiert werden, dass sie Radikalisierungsprozesse und die Rekrutierung von Täter*innen rechtzeitig erkennen?
  • Wie kann eine Schule eine sichere demokratische Mini-Gesellschaft werden?
  • Wie ist äußere Sicherheit zum Beispiel vor Anschlägen zu gewährleisten?
  • Welche Fortbildungsangebote stärken Lehrkräfte und geben ihnen Sicherheit im Auftreten?
  • Wie kann Diversitätsbewusstsein im Umgang mit Kulturen, Religion, Ideologien und Fragen der Identität entwickelt werden?
  • Wie sieht erfolgreiches Konfliktmanagement und der Umgang mit Spannungen in der Gemeinschaft aus?
  • Über welche Kompetenzen sollte eine Lehrkraft verfügen, um als Gesprächsleiter*in in Debatten und Gruppengesprächen anerkannt zu werden?

Die Teilnehmer*innen diskutierten über Gesichtspunkte zur Organisation von Fortbildungen. Es müssten klare Prioritäten gesetzt und der zur Verfügung stehende Zeitrahmen geklärt werden. Beispiele müssten lebensnah sein und Trainer*innen glaubwürdige Expert*innen sein.

Lehrkräfte fungieren als Gesprächspartner*innen auf gleicher Ebene

Besonders hervorgehoben wurde, dass es notwendig sei, den Umgang mit Kontroversen zu schulen. Selbstreflexion sei der Schlüssel zu allem. Auch müsse die Lehrkraft Teil eines Schulteams sein. Unterrichtshilfen müssten frei – auch im Internet – verfügbar und mit klaren Gebrauchsregeln versehen sein. Zu diesem Thema wurde ein Konzept zum „Umgang mit kontroversen Themen“ aus Norwegen vorgestellt, das nach dem rechtsradikalen Terroranschlag Anders Breiviks im Jahr 2012 entwickelt wurde. In diesem Konzept sehen sich Lehrkräfte als Gesprächspartner*innen auf gleicher Ebene, die nicht allwissend sind, aber in der Lage sein müssten, die Meinungen der Schüler*innen in gemeinsame Überlegungen einzubeziehen.

Manfred Diekenbrock, Referat Gewerkschaftliche Bildung der GEW NRW