Klare Kante für Demokratie

Strategien gegen Rechtspopulismus

Die Versuche der etablierten Parteien, die AfD zu stoppen, sind gescheitert. Weder wird sie durch den Verfassungsschutz beobachtet noch hat sie sich selbst zerlegt. Auch das Kopieren von und die faktische Anbiederung an Positionen der AfD haben nicht dazu geführt, sie als überflüssig erscheinen zu lassen. Was bleibt also noch?
Klare Kante für Demokratie

Foto: iStock.com/Yuri Arcurs

Repräsentant*innen der AfD stellen diese als eine Partei dar, die den etablierten Parteien und ihren Repräsentant*innen in den Parlamenten und den staatlichen Institutionen sowie der Öffentlichkeit – in erster Linie sind das die Medien – mit Behauptungen gegenüber tritt, die darauf abzielen, die von „den“ Politikern vertretenen Positionen als nicht der Wahrheit entsprechend zu charakterisieren, ihnen Manipulationen zu ihren Gunsten zu unterstellen und sich zu deren Verbreitung insbesondere der öffentlich-rechtlichen Medien zu bedienen, die dann konsequenter Weise als Lügenpresse tituliert werden. Daneben propagiert die AfD ihre unterschiedlichen politischen Positionen mit dem Anspruch, dass diese den Wünschen und Interessen des nicht näher definierten Volkes entsprechen und auf Tatsachen beruhen, die jedoch unterdrückt würden, weil sie den etablierten Parteien nicht in den Kram passten. Insoweit stecke die so genannte „Lügenpresse“ mit der Politik unter einer Decke.

Die Strategien der etablierten Parteien sind gescheitertDie angegriffenen Parteien versuchten zuerst mit unterschiedlichen Ansätzen, die AfD zu stoppen. Der am weitesten gehende kam von der SPD mit der Forderung, die Partei durch den Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Der peinlichste kam von der CSU, die Teile des politischen Angebots der AfD durch partielles Kopieren und faktische Anbiederung aufwertete, statt es zu delegitimieren. Danach bemühten sich Politiker*innen zu erklären, dass die AfD entweder kein Programm habe oder mit unterschiedlichen Zungen rede, man also nicht wissen könne, was sie eigentlich wolle, und die Partei daher nicht ernst zu nehmen sei.

Mit dem Einzug der AfD in die Landesparlamente wurde dann die Hoffnung verknüpft, die AfD-Fraktionen würden sich im parlamentarischen Betrieb von allein ad absurdum führen, sich unfähig zeigen, politisch zu arbeiten und sich von ihren Anhänger*innen dadurch entfremden, das sie nun Teil der Elite geworden wären, die sie angeblich doch bekämpfen würden. Nun genießt die Arbeit der Landtagsfraktionen in der Regel wenig Aufmerksamkeit und die Parlamentarier*innen der AfD hatten keine Probleme, sich nicht landespolitisch relevanten Themen zuzuwenden, sondern aus dem Parlament heraus gegen „Altparteien“ zu wettern, die Verletzung des Willens des Volkes anzuprangern und bundespolitische Themen zu referieren.

So muss konstatiert werden, dass die Strategien sowohl der pauschalen Ablehnung als auch der partiellen inhaltlichen Anlehnung, gescheitert sind. In der Regel nutzten sie letztlich der AfD, weil diese nun ihren Anhänger*innen erklären konnte, dass sie mit ihren Vorwürfen richtig liege, dass sie ausdrücke, was der Wille des Volkes sei und dass ihre Forderungen auf einfache Art und Weise die gravierenden Probleme – insbesondere das der Zufluchtsuchenden – durch einfache Verfahren, wie sie beispielsweise Aschenputtel nach dem Muster „Die Guten ins Töpfen, sprich auf den deutschen Arbeitsmarkt, die Schlechten ins Kröpfchen, sprich in Abschiebehaft.“ angewendet hat, gelöst werden könnten. Wäre dem nicht so, dann würde sie weder angegriffen noch kopiert werden und zudem nicht die hohe Zustimmung bei Wahlen erhalten  Und das sei ja nun eine Tatsache, an der auch die „Lügenpresse“ nicht vorbeigehen könne.

Die AfD – wer ist das eigentlich?Es wäre äußerst fahrlässig und mehr als leichtsinnig, der AfD und ihrer Politik trotz mannigfaltiger Widersprüche keine Aufmerksamkeit zu schenken. Ebenso fahrlässig ist es zugleich so zu tun, als ob es sich bei führenden Repräsentant*innen der AfD um fehlgeleitete, an politischen Karrieren interessierte und gegebenenfalls in anderen Parteien schon einmal gescheiterte Personen handele. Um harmlose Spinner*innen, von Eitelkeit zerfressene Streber*innen oder Leute, die sich in innerparteilichen Auseinandersetzungen primär als Intrigant*innen betätigen würden. Es finden sich mit Sicherheit auch solche – man denke nur an den Prozess der Spaltung der alten AfD und an die Auseinandersetzungen um das Verhalten gegenüber Personen, die dem  Ansehen der Partei zum Beispiel als Abgeordnete schädigen.

Es finden sich aber auch etliche andere Personen darunter, die einem legitimen Wunsch nach politischer Betätigung im Rahmen einer legalen Partei  nachkommen wollen, jedoch durch ihre Positionen weniger auffallen. Nur sind es nicht diese Personen, die die Wahrnehmung der Partei in der Öffentlichkeit bestimmen. Es sind vielmehr jene, die zum Beispiel an Gesprächsrunden im öffentlich-rechtlichen Fernsehen unter Beteiligung von Politiker*innen aus von der AfD angegriffenen Parteien teilnehmen und die durch Aussagen und Forderungen wie die, es dürfe auf Zufluchtsuchende an der Grenze geschossen werden, den Basiskonsens hinsichtlich des Menschen- und Grundrechtskatalogs des Grundgesetzes verletzen. Personen, die durch die Verwendung von Begriffen aus dem Sprachgebrauch des Nationalsozialismus wie „völkisch“ das Publikum glauben lassen wollen, dass es sich dabei um einen harmlosen, dem Wort „Volk“ zugehörigen Begriff handele, was zwar für das Wort „volkstümlich“ gilt, nicht aber für das Wort „völkisch“, das unter anderem für ein (Führer-) Staatskonzept steht, das die Demokratie ablehnt, ja bekämpft. Oder Personen, die mit dem Hinweis, Flüchtlinge könnten ja auf einer Insel untergebracht werden, darauf setzen, dass vergessen wurde, dass dieser Vorschlag auf die Nationalsozialist*innen zurückgeht, die die deutschen Juden nach Madagaskar umsiedeln wollten.

Wer die Auseinandersetzung mit der AfD ablehnt, begeht ein politisches VersäumnisWer es allerdings wie die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz ablehnt, mit Vertreter*innen der AfD Partei zu diskutieren, ohne explizit deutlich zu machen, worauf sich diese Ablehnung bezieht und kein Interesse besteht, die AfD aufzuwerten und damit gleichzeitig die Verstöße gegen den Konsens der Demokraten zu negieren, ist zwar moralisch auf der richtigen Seite, begeht jedoch ein politisches Versäumnis.

Versäumt wird darüber aufzuklären, was für den Aufstieg der Rechtspopulist*innen verantwortlich ist, nämlich die durch die politischen, ökonomischen und kulturellen Auswirkungen der Globalisierung entstehenden Veränderungen, die in Teilen der Bevölkerung Angst erzeugen. Zwar ist die Aufklärung darüber, dass die etablierte Politik „das Volk“ nicht im Stich lasse, mühselig, aber sie ist notwendig. Ebenso wie permanent der Nachweis geführt werden muss, dass es beispielsweise keine Islamisierung des öffentlichen Lebens und keine Umverteilung öffentlicher Mittel zugunsten von Zufluchtsuchenden gibt. Das mag angesichts der Tendenzen zum Postfaktischen – also der Bedeutungslosigkeit von Fakten gegenüber der Bedeutung von Gefühlen und Stimmungen – als vergeblich erscheinen.

Gegenstimmungen erzeugen und mit falschen Tatsachen aufräumenEs ist jedoch dann nicht vergeblich, wenn der Anspruch auf die Deutungshoheit über die Fakten nicht aufgegeben wird und gegen diese Stimmungen andere Stimmungen erzeugt werden können. Wenn Krisen gemeistert und erwartete Leistungen des Staates erbracht werden. Wenn Befürchtungen, der soziale Abstieg stehe bevor oder die kulturelle Identität gehe durch die Folgen der Globalisierung endgültig verloren, sich als falsch erweisen.
Durch diese Gegenwehr sollen die Bemühungen der Rechtspopulist*innen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gefährden und die Zustimmung zur Demokratie in Ablehnung zu verwandeln, deutlich gemacht werden. Auf diese Weise muss ihnen entgegengetreten werden. Dazu gehört aufzuzeigen, worauf existierende Probleme und Schwierigkeiten in Deutschland beruhen, denn letztlich ist die AfD nicht das Problem, sondern die Probleme, die es der AfD erlaubt haben, an politischer Bedeutung zu gewinnen. Also nicht die Zufluchtsuchenden, sondern die Probleme, die durch die mangelhafte Leistungsfähigkeit der zuständigen Behörden bei ihrer Registrierung, Unterbringung und Entscheidung über ihre Asylanträge entstanden sind. Und nicht die Zufluchtsuchenden bedrohen die Stabilität und Leistungsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme, sondern demografische wie ökonomische Entwicklungen. Und es sind nicht die Zufluchtsuchenden, die Probleme auf dem Arbeitsmarkt verursachen, sondern dessen Strukturen hinsichtlich der ungleichen Beschäftigungs- wie der Einkommensverhältnisse.

Dann kann auch die Realität wieder wirklich werden: Es gibt in Deutschland eine vielfältige Gesellschaft, aber nicht „das“ Volk oder die eine völkische (nationale) Gemeinschaft. Es gibt Einwanderer*innen und Zufluchtsuchende, aber nicht „die“ Asyl begehrenden Ausländer*innen als Prototypen von Terrorist*innen.

Eine Frage der WertvorstellungenMit Rechtspopulist*innen können kaum Argumente ausgetauscht und Diskussionen über ihre programmatischen Sätze geführt werden. Zum Beispiel warum es einen vollständig souveränen Nationalstaat geben muss und welche Folgen das hat (Nationalismus). Wieso sie offen für die Welt, aber Deutsche sein und bleiben wollen. Warum die „Nation eine kulturelle Einheit“ und was die „deutsche Leitkultur“ sein soll. Oder warum in der ständig steigenden Zahl von MuslimInnen eine Gefahr gesehen werden soll (Ethnozentrismus). Denn Rechtspopulist*innen tun Gegenargumente als Lüge ab, wählen aus Tatsachen selektiv aus und machen daraus dann allgemeine Setzungen. Wer darauf verzichtet, sich gegen die These der Rechtspolpulist*innen zu wenden, dass die Demokratie weder gewillt noch fähig sei, die Probleme zu lösen, der gibt ihnen Recht. Wer glaubt, Argumente der AfD nachäffen oder übernehmen zu können, bestätigt nur die Auffassung ihrer Sympathisant*innen, dass die AfD recht habe und macht sie zu Wähler*innen, der das Original der Kopie vorziehen.
Die Auseinandersetzung muss dennoch geführt werden, allerdings nicht über kontroverse Faktendiskussionen, sondern über die Wertvorstellungen, die den politischen Aussagen und Absichten zugrundeliegen: Soziale Gerechtigkeit für alle oder „A(alles) f(ür) D(eutsche)“? Gleichheit des Menschen oder Differenzierung und Diskriminierung nach Herkunft, Geschlecht und Religion? Universalität der Würde und Rechte des Menschen oder Beschränkung auf die Angehörigen der eigenen Nation?

Wer auf die Nation zurückfällt, der fällt aus der Zukunft heraus – und der Rücksturz in die Vergangenheit heißt, keine Zukunft erwarten zu können. Deshalb geht es nicht nur um die Verteidigung der gegenwärtigen Demokratie – ihre Verbesserung eingeschlossen –, sondern auch um ihre Zukunft. Es geht um all das, was die Zukunft ausmacht: Wie werden wir leben? Wie werden wir arbeiten? Wie werden sich die Gesellschaft, Europa und die Welt entwickeln und welchen Herausforderungen müssen wir uns stellen? Vor dieser Diskussion drückt sich die AfD – die ihr nicht folgen, dürfen sich nicht drücken.

Dr. Gero Neugebauer, Politikwissenschaftler und bis 2006 Lehrbeauftragter am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin