Seit 1999 leitet Angelika Brodesser eine städtische Kita in Niederkassel, nebenbei hat sie sich vor ein paar Jahren zur Heilpädagogin weitergebildet. Mit leidenschaftlichem Einsatz überzeugte sie den Träger 2016 mit einem entwicklungshomogenen und teiloffenen Konzept für die Betreuung in der Kita. Die Umstellung führte zu Qualitätsverbesserungen in der Arbeit und zu Entlastung des Personals, unter anderem weil sich die Kolleg*innen in den Gruppen jetzt auf eine Entwicklungsstufe konzentrieren können und keinen Spagat mehr hinlegen müssen. Im Interview verrät die 50-Jährige, welche Ideen für konkrete Maßnahmen sie der Landespolitik mit auf den Weg geben möchte.
GEW NRW: Du bist neu in der Fachgruppe Sozialpädagogische Berufe der GEW NRW. Was hat dich speziell in diesen Zeiten motiviert, aktiv zu werden für faire Arbeitsbedingungen von Erzieher*innen und eine bessere Ausstattung im Bereich der Frühkindlichen Bildung in NRW?
Angelika Brodesser: Ich bin schon immer eine engagierte Arbeitnehmerin gewesen und seit 2016 auch als Personalrätin tätig. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass der Kita-Bereich in der Bildungsgewerkschaft einen nicht angemessenen Stellenwert hat – noch nicht! Es gibt viele Veranstaltungen für Lehrer*innen, aber kaum bis gar keine für Kita-Personal. Es fehlt zudem an Material, Infos oder ähnliches in unserem Bereich, zum Beispiel via E-Mail. So wissen nicht immer alle, die es interessieren könnte, Bescheid über Treffen, Fachgruppen, Streiks, Demos oder die von der GEW NRW angestrebten Ziele für den Erziehungsdienst. Ich möchte mich aktiv daran beteiligen genau das zu ändern und nicht nur unzufrieden sein.
Das Aktionsbündnis „Mehr Große für die Kleinen“, dem sich auch die GEW NRW angeschlossen hat, ruft zu einer großen Demo in Düsseldorf auf am 23. Mai 2019. Das Bündnis fordert mehr Personal für kleinere Gruppen und mehr individuelle Förderung für die Kinder. Welche Forderungen stehen für dich als Kita-Leiterin im Fokus? Welche konkreten Maßnahmen müssen für eine verbesserte Situation in den Kitas sofort getroffen werden?
Da fallen mir wirklich viele ein. Kurzfristige und langfristige Maßnahmen. Zum Beispiel müsste die Kopfpauschale zur Berechnung des Personals abgeschafft werden und durch eine feststehende und damit ausreichende Anzahl der Fachkraftstunden (FK) und der Ergänzungskraftstunden (EK) pro Gruppe ersetzt werden – und zwar unabhängig von den gebuchten Betreuungszeiten, in denen bereits Urlaubstage einberechnet sind. So könnten Kolleg*innen auch mal wieder konstant zusammenarbeiten und es gäbe nicht jedes Jahr neue Personalstunden.
Zusätzlich muss pro drei Gruppen eine Vollzeitstelle als einrichtungsinterne Springerstelle eingerichtet werden und die Gruppenform 1, in der 20 Kinder im Alter von zwei Jahren bis zur Einschulung betreut werden – muss abgeschafft werden. Kitas, die über 45 Stunden pro Woche geöffnet haben, benötigen dafür auch zusätzliches Personal! Und Überbelegungen dürften nur noch in begründeten Härtefällen gestattet werden.
Meiner Meinung nach sollte Supervision verpflichtend von jedem Träger gewährleistet werden. Das zukünftige Kinderbildungsgesetz (KiBiz) für NRW muss genau festlegen, wie viele Schließtage im Kita-Jahr anfallen dürfen. Erzieher*innen in der praxisintegrierten Ausbildung (PiA) beziehungsweise im Anerkennungsjahr dürfen nicht in Personalschlüssel eingebunden werden.
Um die Situation in den Kita sofort zu verbessern, wünsche ich mir, dass es möglich wäre im Rahmen von befristeten Programmen, Quereinsteiger*innen in Projekte für Kinder in den Tagesstätten einbinden zu können. Köch*innen, Maler*inne, Gärtner*innen, Sänger*innen, Musiker*innen, Metallbauer*innen, Schauspieler*innen, Botaniker*innen, Schreiner*innen, Physiker*innen – sie alle könnten unsere Kitalandschaft wunderbar bereichern und durch bisher nicht ausgegebene Personalkosten finanziert werden.
Warum ist es wichtig, am 23. Mai in Düsseldorf dabei zu sein?
Ich fände es wichtig, überhaupt zu mobilisieren. Ich habe von der Demo nur durch die Teilnahme an der Fachgruppe erfahren und egal, wo ich in unserer Kommune nachgefragt habe, hat noch niemand von der Demo gehört. Ich fände es wichtig dabei zu sein, um die Öffentlichkeit auf die Missstände aufmerksam zu machen. Landespolitiker*innen äußern teilweise immer noch, dass in den Kitas doch alles läuft und auch der Ausbau des Angebots sich toll entwickelt. Ich habe auch den Eindruck, dass es kaum Politiker*innen gibt, die politisch-leidenschaftliches Engagement in Bezug auf die Bedingungen in NRWs Kitas zeigen und/oder mit Nachdruck daran arbeiten diese zu verbessern.
Der öffentliche Leidensdruck ist noch nicht groß genug, da unser Kita-Personal am Ende doch irgendwie alles stemmt und nur leise leidet. Die Folge könnte sein, dass immer mehr engagiertes, aber total frustriertes Kita-Personal der Kita-Landschaft den Rücken kehrt. Das ändert auch keine Fachkräfte-Offensive, denn wer soll die Schwemme – wenn sie denn kommt – der Auszubildenden anleiten? Die schon total überlasteten, in unterbesetzten Kitas arbeitenden Fachkräfte, die schon keine Zeit mehr haben, um mit den Kindern angemessen pädagogisch arbeiten zu können?
Die Fragen stellte Sherin Krüger, Redakteurin im NDS Verlag.