Wer soll die Kinder bloß in Zukunft unterrichten?

Prognosen belegen, dass sich der Lehrkräftemangel weiter zuspitzt

Die Lage auf dem Lehrkräftearbeitsmarkt spitzt sich durch einen Schüler*innen-Boom weiter zu. Ohne langfristige Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Lehrer*innen geraten vor allem Grundschulen weiter in Bedrängnis. Das belegen auch Prognosen von Bildungsforscher*innen.
Wer soll die Kinder bloß in Zukunft unterrichten?

Foto: pixabay

Lange Gesichter im Einstellungsbüro des Ministeriums für Schule und Bildung NRW zum Schuljahresbeginn: Von den rund 5.500 neu zu besetzenden Stellen konnten über 2.100 nicht besetzt werden. Schulministerin Yvonne Gebauer musste bei ihrer Auftaktpressekonferenz eingestehen, „leider keine guten Zahlen“ zu haben. Die Besetzungsquote betrage derzeit 53 Prozent, die Situation sei „dramatisch“. Die Zahl der unbesetzten Stellen wäre noch höher gewesen, wenn nicht aktuell über 540 Seiteneinsteiger*innen aus der Wirtschaft einen Lehrer*innenjob angenommen hätten. Schon im vergangenen Schuljahr wurden bereits 579 Seiteneinsteiger*innen eingestellt, so viele wie in den Jahren 2013 bis 2015 zusammen.

Situation auf dem Arbeitsmarkt bundesweit angespannt

Ein Blick über den Tellerrand zeigt: Bundesweit haben von über 16.000 zum neuen Schuljahr eingestellten Lehrer*innen 3.200 keine klassische Lehrer*innenausbildung absolviert. NRW ist auf Platz drei der Rangliste, nur in Berlin und Sachsen wurden noch mehr Quereinsteiger*innen eingestellt.

Die Lage auf dem Lehrkräftearbeitsmarkt ist angespannt. Früher sprach man vom sogenannten Schweinezyklus, wenn sich Zeiten des Mangels und Zeiten des Überangebots abwechselten. Momentan gibt es einen Bewerber*innenarbeitsmarkt. Das bedeutet, die wenigen ausgebildeten Lehrkräfte können sich die Stellen aussuchen. Viele Schulen schreiben ihre Stellen mehrfach vergeblich aus und laufen leer.

Überangebot an Gymnasial- und Gesamtschullehrer*innen

Für Pensionär*innen rücken nicht genug gut ausgebildete Nachwuchskräfte nach. Hinzu kommt, dass zusätzlicher Einstellungsbedarf durch steigende Geburtenraten und immer mehr junge Einwander*innen entsteht. Wir steuern auf einen Schüler*innen-Boom zu – mit alarmierenden Konsequenzen insbesondere für die Schulen der Primarstufe.

Für das laufende und für das kommende Schuljahr prognostiziert das MSB insgesamt 18.100 Berufsaustritte über alle Schulformen hinweg. Insgesamt scheiden zwischen 2015 und 2019 rund 35.000 Lehrkräfte aus dem Schuldienst aus. Im gleichen Zeitraum stehen bestenfalls rund 14.000 ausgebildete Lehramtsanwärter*innen zur Verfügung, davon über 7.000 mit dem Lehramt Gymnasium und Gesamtschule. Absolvent*innen in den anderen Lehrämtern sind selten und heiß begehrt.

Bis 2025 fehlen tausende Klassen und Stellen

Und das Problem spitzt sich weiter zu: Nach Berechnungen von Prof. i.R. Klaus Klemm, Bildungsforscher aus Essen, müssen bis zum Jahr 2025 3.950 neue Klassen gebildet werden. Vorausgesetzt, die Klassenfrequenzen und Schüler*innen-Lehrkraft-Relationen bleiben konstant. Gleichzeitig fehlen etwa 5.400 zusätzliche Stellen für Grundschullehrkräfte. Bedarf gibt es aber auch in anderen Bereichen – von der Weiterentwicklung des Ganztages über den Ausbau der Vertretungsreserve bis zur schulischen Inklusion. Allein für dieses gesellschaftliche Großprojekt fordert die GEW NRW 7.000 zusätzliche Lehrer*innenstellen.

GEW NRW fordert langfristige Lösungen

Die GEW hat auf dem diesjährigen Gewerkschaftstag in Freiburg bekräftigt: „Der sich verschärfende Lehrkräftemangel stellt die Qualität schulischer Bildung in Frage und verschlechtert die Arbeitsbedingungen weiter. Er verstärkt soziale Ungerechtigkeit.“ Die Kultusministerkonferenz und die Landesregierungen sind gefordert, die Verantwortung für die Sicherung des Lehrkräftebedarfs konsequent wahrzunehmen. Auch in NRW muss die Landesregierung mehr tun als bisher. Eine Neuschreibung der Lehrkräftebedarfsprognose – die letzte stammt aus dem Jahr 2000 – wäre erforderlich, um interessierten jungen Menschen eine valide Orientierungshilfe für die Berufswahlentscheidung zu geben.

Was die geplante Werbekampagne des Schulministeriums für den Lehrer*innenberuf betrifft, ist sich die Vorsitzende der GEW NRW Dorothea Schäfer sicher: „Sie wird ins Leere laufen, wenn der Lehrer*innenberuf insgesamt nicht attraktiver gestaltet wird. Durch mehr Entlastung und eine zügige Besoldungsreform, die die Bezahlung aller Lehrkräfte unabhängig von der Schulform nach A 13 Z garantiert."

Berthold Paschert, Referent für Lehrer*innenbildung und Pressesprecher der GEW NRW