In dieser Woche hat das Ministerium für Schule und Bildung (MSB) NRW einen schriftlichen Bericht über den Stand der Inklusion an weiterführenden Schulen in NRW vorgelegt. Dort wird behauptet, dass sich schon in einem ersten Schritt zeige, dass eine Verbesserung der Qualität an den Schulen erreicht werden könne. Über diese Einschätzung kann – vorsichtig formuliert – durchaus gestritten werden. Denn der Bericht operiert mit einem Mittelwert von 2,4 Schüler*innen mit sonderpädagogischen Förderbedarf in den Eingangsklassen der Schulen des Gemeinsamen Lernens.
Das geht an der Realität vieler Schulen deutlich vorbei: Zum einen sitzen in vielen Klassen weitaus mehr als 25 Schüler*innen, zum anderen sind es gerade die vorbildlichen Inklusionsschulen, in denen deutlich mehr als 2,4 Schüler*innen mit sonderpädagogischen Förderbedarf pro Klasse sitzen und damit den Durchschnitt für alle anderen retten. Hier betreibt die Landesregierung statistische Augenwischerei und verschließt sich damit vor den wahren Herausforderungen in den Klassenzimmern!
Gewollte Manipulation?
Nun würde es an schlechten Nachrichten schon ausreichen, wenn das Ministerium, an der Realität der Lehrer*innen und Schüler*innen vorbei, gute Nachrichten verbreiten würde. Nun kommt in dem Bericht allerdings noch hinzu, dass der Durchschnittswert nicht die Gymnasien einbezieht. Das Ministerium weist die durchschnittlichen Werte für jede Schulform der Sekundarstufe I pro Klasse aus – außer für das Gymnasium! Hier wird der Durchschnitt pro Jahrgangsstufe 5 angegeben. Diese verschiedenen Mengeneinheiten vermischt das MSB in einer einheitlichen Spalte in der Tabelle, sodass es auf dem ersten Blick danach aussieht, als würde das Gymnasium mit einem Wert von 3,2 bei der Inklusion Vorreiter sein, gefolgt von der Hauptschule mit einer Quote von 3,0.
Führt man sich nun nochmal die verschiedenen Einheiten vor Augen, bedeutet das, dass die Hauptschulen im Gemeinsamen Lernen drei Kinder mit sonderpädagogischen Förderbedarf pro Klasse beschult, während das Gymnasium im Gemeinsamen Lernen einen minimal höheren Wert pro Jahrgangsstufe beschult. Es wird offensichtlich, dass die Statistik das politische Versagen beschönigen soll. Eine transparente Politik, die das Wohl der Schüler*innen und die Bedingungen der Lehrkräfte priorisiert, sieht anders aus. Ministerin Yvonne Gebauer liefert ein schönes Beispiel für den Mathematikunterricht. Ein alter Satz bewahrheitet sich: Traue keiner Statistik, die du nicht selber gefälscht hast!
Verbesserung der Inklusionsbedingungen lässt auf sich warten
Die Herausforderungen für die Schulen vor Ort scheinen schon lange aus dem Blickfeld des Ministeriums geraten zu sein. Im Koalitionsvertrag der Landesregierung haben CDU und FDP 2017 vereinbart, die Inklusion an Schulen hinsichtlich der Qualität der Förderung aller Kinder und Jugendlichen bestmöglich zu gestalten. Mit der Zauberformel 25 – 3 – 1,5 gab Schulministerin Yvonne Gebauer an, die Inklusionsbedingungen zu verbessern. Dass diese Formel nur heiße Luft ist, ist inzwischen weitgehend bekannt. Für die zusätzliche halbe Stelle für jede Eingangsklasse fehlen die entsprechenden Sonderpädagog*innen. Diese Schlüssel an Sonderpädagog*innen pro Kind bedeutet auch eine Verschlechterung für die Schüler*innen, die einen anderen Förderschwerpunkt als Lernen, Sprache oder Emotionale und Soziale Entwicklung haben. Darüber hinaus ist die Formel rechtlich nicht abgesichert und bezieht sich nur auf neue Eingangsklassen, nicht aber auf die bestehenden Inklusionsklassen von Klasse 6 bis 10. So weit ist die unzureichende Unterstützung seitens des Schulministeriums im Rahmen der Inklusion bekannt.
Das Versagen im Bereich der Inklusion
Auch grundsätzlich mangelt es nicht nur an verbindlichen Standards und Rahmenvorgaben zur Personal- und Organisationsstruktur inklusiv arbeitender Schulen, sondern auch an einer systematischen Unterstützung einzelner Schulen. Durch den Erlass zur Neuausrichtung der Inklusion sind die Weichen falsch gestellt worden: Es fehlen Rechtsverbindlichkeiten, bei der Relation zwischen Schüler*innen und Lehrer*innen und bei den Klassengrößen. Außerdem enthebt der Erlass die Gymnasien der Verpflichtung, sich an einer umfassenden inklusiven Bildung beteiligen zu müssen. Das ist vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention nicht nachvollziehbar. Zehn Jahre nach der Ratifizierung der Konvention, hat NRW sich offensichtlich dazu entschlossen, die Konventionen zu ignorieren. Dabei haben alle Schüler*innen ein Recht auf inklusive Bildung!
Kenneth Rösen, Experte für Schul- und Bildungspolitik der GEW NRW